Haushaltsrede 2012
01. Mär. 2012
Haushaltsrede 2012 von Birgit Niemann-Hollatz
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Herr Dr. Kirsch, sehr geehrte Damen und Herren,
„Erst am Ende eines Jahres weiß man, wie sein Anfang war.“ Dieser Satz des Philosophen Nietzsche ist eigentlich banal. Gerade für einen Haushalt, den wir hier heute zu verabschieden haben, ist es besonders wichtig, das mit Zahlen abzubilden, was wir einsetzen müssen, um unsere Ziele zu erreichen. Haben wir alle Risiken ausreichend betrachtet? Wie werden sich die Zahlen zum Beispiel bei der Eingliederungshilfe entwickeln? Schwierige Fragen, die wir am Anfang des Jahres noch nicht beantworten können. Risiken so weit wie möglich zu bedenken, aber auch keine finanziellen Polster auf Kosten der Kommunen anzulegen, darin besteht die Schwierigkeit, einen Haushalt für den LWL aufzustellen. Deshalb wissen wir am Ende des Jahres erst, wie sein Anfang war.
Bereits Mitte Dezember 2011 hat die Gestaltungsmehrheit sich dafür entschieden, dem Vorschlag der Verwaltung zur Erhöhung der Umlage auf 16,5 % nicht zu folgen. Wir beantragen eine Landschaftsumlage von 16,1 %. Dadurch kann die allgemeine Rücklage unangetastet bleiben. Allerdings verringert sich die Ausgleichsrücklage um einen Betrag von ca. 20 Mio. Euro. Das sind letztlich neue Schulden, die der LWL in Kauf nimmt, um die Kommunen in möglichst geringem Maße zu belasten. Wir GRÜNE halten es für wichtig, in der Ausgleichsrücklage einen Puffer in Höhe von etwa 30 Mio. Euro für unvorhergesehene Fälle und Risiken zu behalten. Das entspricht einer Summe von etwa 1,5 % der jeweiligen Kosten für die Behindertenhilfe. Dieses Prinzip – eine angemessene Ausgleichrücklage als Schwankungsreserve zu erhalten – sollte auch in den kommenden Haushaltsberatungen bei der Festsetzung der Landschaftsumlage Berücksichtigung finden.
Sehr geehrte Damen und Herren, Landesdirektor Dr. Kirsch spricht zu Recht auf seinen zahlreichen Vorträgen vom „unbekannten Riesen“, wenn er über den Landschaftsverband informiert. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auch bei gestandenen Kommunalpolitikern und -politikerinnen das Wissen über Finanzierung und Aufgaben der Landschaftsverbände deutlich ausbaufähig ist. Vertreter der Verwaltung reisten ja im Zuge der Haushaltsberatungen durch die Mitgliedskommunen und erläuterten nicht nur den Kämmerern, sondern auch in den entsprechenden Ausschüssen, Kreistagen und Räten sehr verständlich die schwierige finanzielle Situation des LWL. Das war sehr hilfreich. Vielen Dank dafür. Dadurch konnten viele Fragen beantwortet und die oft massiv geäußerte Kritik an der Höhe der Landschaftsumlage erst einmal weitgehend ausgeräumt werden. Ich hoffe, dass dies nachhaltig wirkt und bei den kommenden Haushaltsberatungen und Festlegungen der Landschaftsumlage auch noch zu bemerken ist. Es wird aber sicherlich eine Daueraufgabe für uns alle sein, über die Arbeit des LWL in unseren Kommunen zu informieren und zu zeigen, dass die Landschaftsumlage, dass jeder Euro davon, zielgenau, gut geplant und mit Bedacht und Weitsicht für unsere Aufgaben eingesetzt wird. Nur mit Hilfe einer guten Information und Kommunikation können wir als Mitglieder der Landschaftsversammlung den Spagat zwischen den finanziellen Interessen unserer Kommunen vor Ort und den Aufgaben, die wir hier im LWL wahrnehmen wollen und müssen, ohne Zerrungen und Verrenkungen schaffen.
Die rapide ansteigenden Kosten bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen machen es unmöglich, die Landschaftsumlage stabil zu halten. Die Fallzahlen steigen unermüdlich an. Die kommunale Familie kann die steigenden Kosten in Höhe von etwa 60 bis 70 Mio. Euro jährlich nicht mehr alleine schultern. Jetzt ist die richtige Zeit, unserer Forderung nach einer Beteiligung des Bundes an diesen Kosten über alle Parteien hinweg Nachdruck zu verleihen. Im Sommer beginnen vermutlich überall die Beratungen über die Wahlprogramme für die Bundestagswahl 2013. Wir GRÜNEN planen zusammen mit unseren Kolleginnen und Kollegen im LVR und mit den Landtagsabgeordneten im Mai eine Fahrt zu unserer Bundestagsfraktion und zum Bundesvorstand. Wir wollen die Probleme mit der strukturellen Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte durch die Kostensteigerungen in der Eingliederungshilfe in Berlin noch einmal massiv vorbringen und die Beteiligung des Bundes an diesen Kosten einfordern. Wir meinen, dass in den Wahlprogrammen aller Bundestagsparteien stehen muss, dass sich der Bund der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen stellt und für die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen eine tragfähige Lösung erarbeitet. Wir brauchen ein eigenständiges Bundesleistungsgesetz, das das bestehende zersplitterte Leistungsrecht überwindet.
Das Thema Inklusion steht für uns GRÜNE nach wie vor ganz oben auf der Tagesordnung. Zum Beispiel sollen von Seiten des Landes NRW jetzt Eckpunkte für die Umsetzung von Inklusion in den NRW-Schulen erarbeitet werden, die zeigen, wie der gemeinsame Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Handicap konkret vorangetrieben werden kann. Sowohl Kinder und Eltern als auch Schulträger und Schulen brauchen Klarheit über Zeitplan und Ressourcen. Umfassende Informationen dazu können bestehende Verunsicherungen abbauen. Mit Freude nehmen wir zur Kenntnis, dass sich die LWL-Schulen mit viel Engagement bereits auf den Weg gemacht haben in Richtung „inklusive Beschulung“. Als vorbildliches Beispiel möchte ich die Iris-Schule in Münster erwähnen, die bereits mehr als 50% ihrer Schülerinnen und Schüler in den Unterricht der Regelschulen abgegeben hat. Die Schule unterstützt die aufnehmenden Schulen und die Schülerinnen und Schüler mit viel Kompetenz. Hier ist inklusive Beschulung bereits erfolgreich in Gang gesetzt.
Meine Damen und Herren, der LWL wird im Kulturbereich vor Ort vielfach kritisch wahr genommen, besonders dort, wo der LWL keine Museumsstandorte unterhält. Nach dem Motto: uns nehmen sie über die Landschaftsumlage „die Kohle“ weg und bauen sich dafür schöne teure Museen, zum Beispiel in Münster. Wir alle – Politik und Verwaltung – müssen noch besser deutlich machen, wie die Kulturarbeit des LWL tief nach Westfalen hinein strahlt. Deswegen ist für uns wichtig, dass der alte Ansatz von 2010 zur Förderung der Museen in Westfalen – nach einem Jahr mit reduziertem Mitteleinsatz – wieder hergestellt ist. Zusammen mit den Beratungs- und Dienstleistungen der Kulturverwaltung und des Museumsamtes soll dieses Geld weiter den kulturellen Einrichtungen in der Fläche zu Gute kommen.
Lassen Sie mich – unabhängig von Inhalten – noch ein paar Worte zum Thema Kommunikation sagen: Politik auf allen Ebenen findet nicht mehr und immer weniger hinter verschlossenen Türen und weit weg von den Menschen, die sie betrifft, statt. Das ist gut so. Entscheidungen müssen begründet und vermittelt werden. Die Zauberwörter in diesem Zusammenhang heißen „Beteiligung, Mitwirkung, Transparenz und miteinander Sprechen“. „Wutbürger“ gibt es längst nicht mehr nur in Stuttgart und Gorleben. Sie gibt es auch bei uns vor den Haustüren in Gütersloh, Ahaus, Münster und anderswo in Westfalen-Lippe.
Meine Damen und Herren, wir haben es heute mit aufgeklärten und gut vernetzen Bürgerinnen und Bürgern zu tun. Der Obrigkeitsstaat ist schon lange adé. Die Menschen kontrollieren und prüfen das Handeln von Politik und Verwaltung, das bekommen nicht nur Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg zu spüren, nein auch Diktatoren und Regime auf der ganzen Welt. Moderne, vernetzte Informationspolitik lässt undemokratische, korrupte Machtstrukturen wackeln und stürzen. Überall auf der Welt informieren sich die Menschen über und mit dem Internet über Politik und Macht, die sie betrifft. Deswegen müssen wir neue Formen der Beteiligung und Mitwirkung finden. Die LWL-Verwaltung muss die Nähe suchen nicht nur zu den Einrichtungen vor Ort, sondern auch zu den Nutzerinnen und Nutzern, zu Anwohnerinnen und Anwohnern, zu allen, die von Maßnahmen, Neuerungen usw. betroffen sein können. Sonst müssen wir uns nicht wundern, wenn es Proteste gibt zum Beispiel bei der Schließung von Bädern oder bei der Abholzung von Bäumen. Nur durch eine umfassende Information und Kommunikation unter Nutzung aller möglichen Medien, können wir wenn nicht Zustimmung, so doch wenigstens Verständnis und Akzeptanz für unser Tun erreichen.
„Rechte Gewalt nimmt in NRW deutlich zu.“ Das war vor ein paar Tagen in den Zeitungen zu lesen und ist kurz zusammengefasst die Antwort auf eine Anfrage der GRÜNEN im Düsseldorfer Landtag. Meine Damen und Herren, mit großer Sorge und Aufmerksamkeit beobachten wir das massive Auftreten von rechtsradikalen Gruppen auch hier in Westfalen-Lippe. Sei es in Bielefeld, Dortmund, Hamm oder jetzt in Münster: in vielen Orten gibt es Aufmärsche und Versammlungen von Nationalsozialisten und Rechtsextremisten. Weil wir hier im LWL eine besondere Verantwortung auch für Menschen tragen, die von Rechtsradikalen in erschreckender Weise ausgegrenzt, bedroht und diffamiert wurden und werden, unterstützen wir alle, die ein deutliches Zeichen für Menschlichkeit, Vielfalt, für ein demokratisches und friedvolles Miteinander setzen. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf, dies am 3. März hier in Münster durch ihren gewaltfreien, aktiven Protest gegen Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen.
Bevor ich gleich zum Schluss komme, möchte ich mich im Namen der GRÜNEN Fraktion noch bedanken: Bei der Verwaltung, vor allem bei Herrn Löb, für die Erklärung des Haushalts, für die Beantwortung unserer Fragen und für die Unterstützung bei unseren Beratungen.
Wir bedanken uns bei unseren Kolleginnen und Kollegen der SPD und FDP für die engagierte Zusammenarbeit, die geprägt ist von dem Ziel, gemeinsam für den LWL etwas zu erreichen und zu zeigen, dass die Gestaltungsmehrheit eine gute, an der Zukunft ausgerichtete Politik für den LWL macht. Und das möchten wir weiterhin mit Erfolg tun.
Meine Damen und Herren, „am Ende eines Jahres weiß man erst, wie sein Anfang war“. Ich hoffe und wünsche, dass wir am Ende des Jahres 2012 sagen können: wir haben unseren Haushalt weitsichtig geplant. Wir haben jeden Euro sinnvoll und zielgenau ausgegeben. Wir sind unseren Zielen ein Stückchen näher gekommen. Wir haben uns eingesetzt für die Interessen der psychischen kranken und behinderten Menschen. Wir haben für die Schülerinnen und Schüler der LWL-Schulen die Tür für eine inklusive Bildung geöffnet. Wir haben für die Bevölkerung von Westfalen-Lippe die Kultur und Geschichte Westfalens erhalten, in Kultureinrichtungen erlebbar gemacht und nahe gebracht. Wir haben ökologisch weitsichtig, sozial gerecht und im Sinne der Nachhaltigkeit gehandelt und sind konsequent eingetreten für Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Toleranz.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Birgit Niemann-Hollatz
(es gilt das gesprochene Wort)