Statement zum Arbeitskräftemangel von Gertrud Welper auf der Sitzung der Landschaftsversammlung am 30.3.2023

 – Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

Sehr geehrter Herr Landesdirektor Dr. Lunemann,

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Lorenz Bahr,

sehr geehrte Damen und Herren,

Nicht nur in Westfalen-Lippe, in ganz Nordrhein-Westfalen als Industriestandort ist der Fachkräftemangel schon seit Jahrzehnten Thema. Der LWL ist vom Mangel auf vielschichtige Weise betroffen. Aktuell spitzt sich die Lage gerade bei den Sozial- und Erziehungsberufen in der Jugendhilfe zu. Das Defizit an Kräften erschwert auch Fortschritte im Bereich der Inklusion, denn diese geht nicht ohne gute Betreuung. Andersherum: Personalmangel ist eine Chance, inklusive Möglichkeiten zu entwickeln, um mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen.

Wie Lorenz Bahr aus dem Gleichstellungsministerium schon sagte, ist das Potenzial von Frauen hier ein zentrales Thema. Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Die Gründe hängen mit der hierzulande mangelhaften Vereinbarkeit von Care Arbeit, Familie und Beruf zusammen. Immer mehr Kita-Plätze fehlen, was die Vereinbarkeit weiter erschwert. Ein Umstand, der vornehmlich die Erwerbsbiografien von Frauen negativ beeinflusst.

 

Überhaupt sind Frauen in ihrer Erwerbsbiografie mit etlichen Fragen konfrontiert, von  denen ich einige der Brennendsten einmal nennen möchte:

 

Zunächst einmal: Was passiert, wenn ich eine Familie gründe?

Grundsätzlich ist die Familiengründung ein kritischer Wendepunkt für den Verlauf von Erwerbskarrieren. Frauen leisten ab diesem Zeitpunkt mehr unbezahlte Sorgearbeit, sie gehen in der Regel öfter und länger in Elternzeit und arbeiten vermehrt in Teilzeit (DIW Wochenbericht 9 / 2023).

 

Was ist, wenn meine Kinder größer werden – will und kann ich wirklich so früh zurück in den Beruf gehen?

Einmal dargestellt am Beispiel der Pflegeberufe: Viele Pflegende würden in den Beruf zurückkehren, aber sie wissen nicht, wie sie Familienarbeit und Schichtarbeit vereinbaren sollen. In den LWL-Kliniken werden Pflegekräfte 24 Stunden am Tag 7 Tage die Woche 365 Tage im Jahr benötigt. Gibt es dafür die adäquate Kinderbetreuung? Oder werden andere Arbeitszeitmodelle angeboten?

 

Die Kinder werden größer, was mich zur nächsten Frage bringt: Bekomme ich eine Betreuung entsprechend meiner Arbeitssituation?

Eine Frage muss mit Vorrang gelöst werden: Die der Kinderbetreuung. Die Situation der Kinderbetreuung in den Kommunen ist – zum Teil – miserabel. Dies stellt Familien vor riesige Probleme. Und die Probleme der Mitarbeitenden sind hier eindeutig die Probleme des LWL.

Aber auch Anstrengungen von Seiten des Arbeitgebenden müssen unternommen werden, auch hier im LWL, um Arbeit an die Betreuungsbedarfe von Eltern anzupassen.

Das Thema Kinderbetreuung kann der LWL nicht allein stemmen, keine Organisation kann das. LWL, Kreise und Kommunen sind hier in besonderer Weise voneinander abhängig. Der LWL ist auf die Zusammenarbeit mit der kommunalen Familie angewiesen – und umgekehrt. Beide benötigen mehr Unterstützung durch Land und Bund. Daher begrüßen wir die Initiative der Landesregierung mit dem sogenannten „Sofortprogramm Kita“ als ersten, vorgelagerten Baustein der Fachkräfteoffensive für Sozial- und Erziehungsberufe. Aber hier muss mehr getan werden.

Es muss noch mehr kreative Lösungen geben. Wenn Erzieher:innen und Pfleger:innen zum Beispiel durch Beschleunigung bei der Kitaplatzvergabe gewonnen werden können, gewinnen alle.

 

Und wenn ich meine Kinder betreut sehe – Werde ich mich im Beruf mit meiner Doppelbelastung wohlfühlen?

Viele Frauen zögern mit der Berufsrückkehr, weil sie wissen, da herrscht Präsenzkultur, und das scheint mit den vielen Familienaufgaben kaum in Einklang zu bringen. Der LWL hat sich hier auf den Weg gemacht, die Inputs aus der Verwaltung haben das bereits gezeigt. In kürzester Zeit wurde beim LWL Mobiles Arbeiten eingeführt, tausende Homeoffice-Arbeitsplätze ausgestattet. Videokonferenzen sind inzwischen Standard. Mehr Digitalisierung darf aber nicht zu einer Entgrenzung von Arbeit führen. Der LWL muss diesen Weg mit Blick auf die Interessen der Mitarbeitenden konsequent weitergehen.

 

Und wenn ich als Arbeitnehmerin nach Westfalen-Lippe einwandere, wie werde ich aufgenommen?

Wenn Frauen als Fachkräfte aus dem Ausland kommen wollen, dauern die Prozesse viel zu lang. Das Anerkennungsverfahren muss deutlich beschleunigt werden. So könnte die Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung in NRW mit 15.000 Anträgen drei Mal so viele bearbeiten wie im Moment. Aber ihr fehlt die nötige technische und ja, auch personelle Ausstattung. Ein Teufelskreis.

Wenn Fachkräfte kommen, brauchen sie neben Maßnahmen zu Integration und Sprachvermittlung selbstverständlich verlässliche Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder.

 

Eine weitere, sehr wichtige Frage: Wie lange will ich arbeiten und was bekomme ich dafür? Und was ist mit meiner Rente?

Ein Punkt, den Lorenz Bahr im Zusammenhang  ´Existenzsicherung und Erwerbsarbeit ´ anbringt, ist hier von besonderer Bedeutung:
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist zwar gestiegen, aber die Teilzeitquoten sind zu hoch. Sie machen beim LWL über 80 % aus, und eine Veränderung ist  nicht in Sicht. Und dies, obwohl die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten im LWL lt. Gleichstellungsbericht 2019 mehr arbeiten würde, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Das sind Umstände, die mir als Vorsitzende der Gleichstellungskommission besonders zu denken geben.

An solchen Faktoren müssen wir als Gesamtgesellschaft ansetzen: Frauen leisten täglich ca. 1,5 Stunden mehr Sorgearbeit als Männer. Zeit, die fehlt, um eine existenzsichernde Erwerbsarbeit auszuüben (Bündnis Sorgearbeit fair teilen).  Zeit, die fehlt, um eine existenzsichernde Rente aufzubauen. Alleinerziehende Mütter sind hier besonders stark benachteiligt.

 

Last, but not least: Wie stellen wir mehr Gerechtigkeit her?

Care Arbeit ist der zentrale Faktor dafür, dass Frauen vom Arbeitsmarkt weggehalten werden. Auch im LWL spiegelt sich der gesamtgesellschaftliche Trend wider: Die männlichen Kollegen nehmen in der Regel nur die zwei Monate Elternzeit im klassischen Partnermonatsmodell. Obwohl Väter heute sehr gerne mehr Zeit für ihre Kinder haben würden. Hier fehlt es jedoch auch an gesellschaftlicher Akzeptanz in der Arbeitswelt.

Meine Damen und Herren, festzuhalten bleibt – Care Arbeit ist nicht Frauensache. Sie ist systemrelevant und Fundament unserer Gesellschaft. Daher brauchen wir nicht nur eine gute Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Beruf, sondern auch eine gute Bezahlung von Menschen, die Care Arbeit beruflich leisten.

Wie Staatssekretär Bahr bereits sagte: Wir sind auf das große Potential unserer qualifizierten leistungsstarken Frauen angewiesen. Wir müssen uns ihrer Fragen und Probleme annehmen! Auch, um unserem Anspruch an eine gleichberechtigte Gesellschaft gerecht zu werden.

Nur anreißen kann ich hier die Herausforderungen für Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Der LWL muss  mehr Anstrengungen unternehmen, um den Arbeitsmarkt auch für sie inklusiver zu gestalten.

 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

 

 

 

 

 

 

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