LWL-Haushalt 2010
Martina Müller: Rede zur Verabschiedung des LWL-Haushaltes 2010 in der Landschaftsversammlung am 22.04.2010
„Oberkante –Unterlippe“ … zwei Begriffe, sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, die assoziieren, wie es um die Haushalte der Kreise und Städte, aber auch um den LWL-Haushalt aussieht.
Viele Städte halten sich seit Jahren nur noch mit einem finanzpolitischen Vabanquespiel über Wasser: Sie decken ihre Defizite zum großen Teil mit Hilfe von kurzfristigen Kassenkrediten, die teilweise unter 1 % Zinsen angeboten werden. Werden in absehbarer die Zinsen wieder auf Normalmaß steigen, droht diesen Städten der endgültige Kollaps.
Die Hälfte aller Kassenkredite entfällt allein auf NRW, davon wiederum die Hälfte auf die Kommunen im Ruhrgebiet und im bergischen Städtedreieck. Ursache sind die fehlenden Einnahmen und die steigenden Kosten durch die Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit z.B. bei den Kosten der Unterkunft.
Aber auch das Land hat in den vergangenen Jahren in einer kommunalfeindlichen Art und Weise massiv auf dem Rücken der Städte und Gemeinden seine eigene Kassenlage aufpoliert. Die Landesregierung hat zu Lasten der Städte und Gemeinden gespart oder Lasten ohne entsprechenden Ausgleich verschoben z.B. beim Anteil der Kommunen an der Grunderwerbssteuer oder bei der Krankenhausinvestitionsförderung. Diese Zeche zahlt die gesamte kommunale Familie.
„Mehr und mehr Städte drohen in eine „Vergeblichkeitsfalle“ zu tappen“, warnen die Kommunalverbände. Mühsam abgerungene Einsparungen werden durch die wirtschaftliche Entwicklung oder eine Gesetzesänderung in Berlin pulverisiert z .B. durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und Regelungen zur Gewerbesteuerumlage.
Nach den Jahren 2007 und 2008 die dank florierender Wirtschaft und hoher Gewerbesteuereinnahmen in den meisten Städten die besten Jahre der deutschen Kommunalgeschichte waren, drohen nach der Wirtschaftskrise nun die schlechtesten Jahre.
Die Kreise und Städte wenden sich an den Landschaftsverband und rufen mit Resolutionen, Appellen und Anträgen um Hilfe.
Die Landschaftsversammlung muss ohne Zweifel einer doppelten Verantwortung gerecht werden: Der Verantwortung als Teil der kommunalen Familie für Kreise und kreisfreie Städte, aber in erster Linie der Verantwortung für die Menschen, die dem LWL anvertraut sind, für die Menschen mit Behinderungen und für psychisch Kranke.
Insbesondere die Kostensteigerungen aus einer anhaltenden Fallzahlsteigerung im Bereich der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen in der Größenordnung von ca. 40 – 50 Mio. Euro jährlich, lassen auf Dauer alle Bemühungen scheitern, den Kostenanstieg durch weitere Einsparungen im LWL-Haushalt aufzufangen. Der enorme Kostendruck, meine Damen und Herren, kann und darf aber nicht zu Lasten einer qualitativen Versorgung und Leistungserbringung für Menschen mit Behinderungen gehen.
Und wenn die LWL-Verwaltung stolz darauf ist, dass sie in den Verhandlungen mit den Trägern 20 Mio. Euro eingespart hat, dann muss man leider sagen, dass diese Einsparungen natürlich Einsparungen im Personaleinsatz und damit bereits Verschlechterungen für die Menschen bedeuten.
Und wenn uns dann KommunalpolitikerInnen sagen, Ihr dürft die Umlage nicht erhöhen, wir können nicht einmal unsere notwendigen Kita-Plätze ausbauen, dann müssen wir ihnen entgegen halten, dass es nicht sein darf, dass die kommunale Familie sich auseinanderdividieren lässt, dass Kita-Plätze gegen Hilfe für Menschen mit Behinderungen aufgerechnet werden. Wir müssen ihnen auch sagen, dass wir für sie die Aufgaben erledigen und dies kostengünstiger als wenn jede Kommune dies selber machen müsste.
Das Problem der strukturellen Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte kann nicht innerhalb der kommunalen Familie gelöst werden. Es darf nicht zu einer Entsolidarisierung der Kommunen untereinander kommen.
Der Bund muss sich endlich der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Eingliederung von Menschen mit Behinderung stellen und einen Vorschlag für ein Bundesteilhabegeld vorlegen. Die Kommission zur Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen dazu muss eine tragfähige Lösung erarbeiten.
Die Aufgabe des LWL in den nächsten Jahren wird die Umsetzung der UN -Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sein. Nach diesem Meilenstein in der Behindertenpolitik ist der Regelschulbesuch von Kindern mit Behinderungen keine freiwillige Leistung – sie ist ein Menschenrecht! Bislang mussten Eltern behinderter Kinder oft langwierige Verfahren durchlaufen – häufig mit dem Ergebnis, dass ihr Kind dann doch die Sonderschule – und ich sage bewusst: die Sonderschule, besuchen musste. Auch wenn die Regelbeschulung von Kindern mit Behinderungen eine große Herausforderung ist – sie darf nicht an Finanzierungsproblemen und mangelndem Umsetzungswillen scheitern! Hier ist natürlich in erster Linie das Land gefragt, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Bestehende Schulgebäude müssen auf Dauer umgebaut werden. Es muss eine entsprechende Schulassistenz für Kinder mit Behinderungen zur Pflicht werden. In Schweden werden 80% der Kinder mit Behinderungen in Regelschulen unterrichtet und nur 20% dieser Kinder besuchen eine Sonderschule – in Deutschland ist das Verhältnis umgekehrt. Die Förder- und Sonderschulen leisten gute Arbeit – ihre Kompetenzen müssen aber breit in einer gemeinsamen Schule der Zukunft verankert werden. Das miteinander und voneinander Lernen steht hierbei im Vordergrund. Andere Länder machen erfolgreich vor wie es funktionieren kann – auch wir müssen diesen Weg einschlagen. Der LWL muss sich dieser Aufgabe stellen. Erste Schritte sind die Öffnung der Förderschulen des LWL für nichtbehinderte SchülerInnen und die weitere Umwandlung unserer Schulen zu Kompetenzzentren, in denen die Beratung der Eltern ergebnisoffen stattfinden kann. Nicht nur in großen Städten wie Bielefeld, Bochum und Münster, sondern auch z.B. in Altenberge und Plettenberg fordern Eltern kommunale Inklusionspläne und das Ende von Zwangszuweisungen.
Aber natürlich reichen die Auswirkungen der UN-Konvention über den Bereich Schulen hinaus. In einer dezernatsübergreifenden Kompetenzkommission muss der LWL Strategien und Maßnahmen zur Realisierung der Anforderungen der UN-Konvention erarbeiten und den politischen Gremien vorlegen. Dazu gehören auch die Kinder- und Jugendhilfe, die Kliniken, aber auch die Barrierefreiheit von Museen und deren Angebote, die Barrierefreiheit von Gebäuden und besonders auch die Barrierefreiheit von Kommunikation.
Natürlich wird der sowohl unter fachlichen als auch unter Kostengesichtspunkten richtige Weg der Ambulantisierung konsequent fortgesetzt. Menschen müssen selbstbestimmt leben und wohnen können. Der Aufbau eines angemessenen Beratungssystems muss dabei zügig verwirklicht werden. Es soll aber keine und keiner glauben, dass durch die weitere Ambulantisierung zukünftig Millionen einzusparen seien. Immer mehr Menschen mit schweren Handicaps nehmen sich zu Recht die Freiheit auf ein Leben außerhalb einer stationären Einrichtung. Da wird der Einzelfall auch möglicherweise höhere Kosten mit sich bringen. Wir werden die Menschen aber trotzdem unterstützen, diesen Weg zu gehen. Insgesamt erwarten wir allenfalls eine Dämpfung des Anstiegs der Kosten durch ein schnelleres „ambulant vor stationär“.
Meine Herren, meine Damen, Frauen haben in diesem Hause mit der neuen Gestaltungsmehrheit wieder eine Stimme. Mit der Konstituierung der Gleichstellungskommission sind die Zeiten vorbei, in denen im Personalausschuss achselzuckend zur Kenntnis genommen werden musste, dass die Frauenförderpläne nicht rechtzeitig vorgelegt werden und erst eine Dienstaufsichtsbeschwerde durch DIE GRÜNEN beim Innenminister dafür sorgte, dass sich wenigstens dafür entschuldigt wurde mit dem Versprechen auf Besserung. Inhaltlich kann jetzt wieder Politik für Frauen stattfinden.
Liebe Frauen in der Landschaftsversammlung, lassen Sie uns diese Möglichkeiten nutzen und kreativ und interfraktionär für LWL-Mitarbeiterinnen, aber auch für LWL- Kundinnen gute Arbeit leisten. Dabei steht außer Frage, dass natürlich weiterhin Gender Mainstreaming als Top Down-Thema parallel Thema von Frauen und Männern sein wird.
Durch die Zusammenarbeit der neuen Gestaltungsmehrheit wird der Klimaschutz im LWL eine herausragende Bedeutung erhalten. Unsere Politik wird sich an Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung ausrichten. Die konsequente Umsetzung des Energiepolitischen Konzeptes steht dabei im Vordergrund. CO2-Einsparkriterien sollen bei der Beschaffung z.B durch Einkauf regionaler Produkte und bei der Ausrichtung des Fuhrparks stärker in den Blick genommen werden.
Meine Damen und Herren, wir stellen uns der Verantwortung zusammen mit SPD und FDP für den LWL und die Kommunen.
Wir halten den Hebesatz in diesem Jahr stabil und nehmen dafür die Ausgleichsrücklage in Höhe von mindestens 90 Millionen Euro in Anspruch, wissend dass diese in 2 Jahren aufgezehrt sein wird, wenn es keine höheren Einnahmen gibt. Bündnis 90/DIE GRÜNEN stehen für eine transparente Umlagepolitik. Daher werden wir in der Vorbereitung des ersten Haushaltes der neuen Gestaltungsmehrheit alle Möglichkeiten einer kostenkritischen Betrachtung von LWL-Leistungen und LWL-Beteiligungen nutzen, den Kreisen und Städten aber auch klar die Grenzen möglicher Einsparungen aufzeigen.
„Das Milchmädchen“ war im Januar das Kunstwerk des Monats im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte – Milchmädchenrechnungen haben mit seriöser Haushaltspolitik nichts zu tun.