LWL-Haushalt 2013 verabschiedet
31. Jan. 2013
LWL Haushalt 2013: GRÜNE fordern aktive Beteiligung von Betroffenen und der Politik am Aktionsplan Inkluson
„Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN freut sich darauf, aktiv in den nächsten Monaten am Aktionsplan Inklusion mitzuarbeiten und in den nächsten Jahren die anschließende Umsetzung der zu beschließenden Maßnahmen zu begleiten,“ so endete Martina Müller in ihrer Haushaltsrede.
Martina Müller forderte im Namen der GRÜNEN Fraktion ein Gesamtkonzept „Inklusion“ aus den vielen Mosaiksteinchen, wie z.B. Führungen mit GebärdesprachdolmetscherInnen oder Museumsführer in Brailleschrift von der LWL-Verwaltung ein.
Hier der Wortlaut der Haushaltsrede:
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrter Herr Landesdirektor,
sehr geehrte Damen und Herren,
vor nicht einmal einem Jahr stand meine Sprecherkollegin Birgit Niemann-Hollatz hier und sagte: „Die kommunale Familie kann die steigenden Kosten der Eingliederungshilfe in Höhe von 60-70 Mio. Euro jährlich nicht mehr alleine schultern. Jetzt ist die richtige Zeit, unserer Forderung nach einer Beteiligung des Bundes an diesen Kosten über alle Parteien hinweg Nachdruck zu verleihen.“
Meine Damen und Herren, ich stelle fest – wir haben die Zeit genutzt.
Beim Landkreistag in Berlin vor 3 Wochen gab es niemanden von den maßgeblichen BundespolitikerInnen, der oder die die Thematik „Bundesleistungsgesetz bzw. Bundesteilhabegesetz nicht angesprochen hätte, gar die Notwendigkeit bestritten hätte.
Der dramatische Anstieg der Kosten der Eingliederungshilfe ist in aller Munde – auf Bundes- und Länderebene, auf kommunaler Ebene sowieso. Das gilt im Übrigen auch für die kommunalen Spitzenverbände.
Die GRÜNE LWL-Fraktion war in Berlin erfolgreich mit der Installierung einer GRÜNEN Bund-Länderarbeitsgruppe aus Finanz- und SozialpolitikerInnen, die Vorschläge erarbeiten werden. Wir sind sehr froh, dass die Landschaftsverbände dort mit einer Expertin vertreten werden, der Sozialdezernentin des Landschaftsverbandes Rheinland, Martina Hoffmann-Badache. Wir stehen im engen Austausch mit ihr.
Frau Hötte, bitte nehmen Sie den Dank an Martina mit nach Köln.
Allerdings gibt es schon Unterschiede in den Vorstellungen der Parteien zur Ausgestaltung und zum Zeitplan.
Für uns GRÜNE ist klar: Ein reiner Finanztransfer, wie im Fiskalpakt zugesagt, wird auf Dauer die Probleme nicht lösen. Strukturen müssen bundesweit verändert und angepasst werden. Es kann ja nicht sein, dass man in Bayern wieder beginnt, Heime zu bauen. Weitere inhaltliche Veränderungen werden erfolgen müssen, Stichworte hier: Neuer Plegebedürftigkeitsbegriff, Pflege-Neuausrichtungsgesetz, Zusammenführung der Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, also die Zusammenführung der Sozialgesetzbücher SGB VIII und SGB XII sowie die Weiterentwicklung der Frühförderung.
Meine Damen und Herren, es wird anerkannt, dass wir in NRW beim Wohnen für Menschen mit Behinderungen relativ gut aufgestellt sind. Beide Landschaftsverbände sind Vorreiter in der Entwicklung „ambulant vor stationär“. Damit wurde die Kostenkurve zwar nur abgeflacht, aber bei gleichzeitig steigender Zahl der unterzubringenden Menschen ist dies doch ein Erfolg. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg fortführen, auch wenn im Einzelfall einmal nicht eine Kosteneinsparung dabei erwächst, sondern sogar höhere Kosten notwendig werden. Für uns steht das Recht auf freie Wahl der Wohnung im Vordergrund.
Ebenso ist es mit der Wahl der Arbeitsstätte. Wir dürfen nicht nachlassen, ein Budget für Arbeit zu fordern. Das Ziel muss der 1. Arbeitsmarkt oder ein Integrationsbetrieb, nicht die Werkstatt sein.
Mit den 1000 zusätzlichen Außenarbeitsplätzen, die vom Land mit 1,85 Millionen Euro eingerichtet werden, bieten die Werkstätten dann insgesamt 2600 Beschäftigten in NRW die Chance, über ausgelagerte Arbeitsplätze im einem zweiten Schritt den Übergang auf den 1. Arbeitsmarkt zu schaffen.
Meine Damen und Herren, im Sommer 2014 werden Kinder mit Behinderungen überall in NRW in den Eingangsklassen 1 und 5 in einer Regelschule einen Platz erhalten können, wenn ihre Eltern sie dort anmelden.
Dabei kann ich zwar die Sorgen der kommunalen Spitzenverbände verstehen, die Kassen sind leer. Meiner Meinung nach gilt die UN-Konvention aber für alle politischen Ebenen, daher greift alleine der Ruf nach Konnexität zu kurz. Sicher ist, Inklusion kostet Geld. Steuergelder, die alle aufbringen müssen. Insgesamt muss mehr Geld in das Gesamtsystem. Gegenseitige Forderungen helfen den betroffenen Kindern und ihren Eltern nicht weiter. Ich empfinde die Konnexitätsdebatte eher als ein Rechtfertigungsinstrument gegen Inklusion.
Niemand lehnt z.B. die Einführung einer Sekundarschule ab wegen notwendiger baulicher Maßnahmen.
Wenn man die Diskussion abwürgen will, kann man natürlich so argumentieren. Man sollte aber seriös bleiben: Nur 0,5 % der Kinder haben z.B. einen Förderbedarf im Bereich Motorik und längst nicht alle davon brauchen einen Rolli. Trotzdem wird so getan, als ob alle Schulen rollstuhlgerecht umgebaut werden müssten. Die große Mehrheit, nämlich 70 % der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, hat diesen Bedarf im Bereich Sprache und Lern- und Entwicklungsstörungen.
Aufgrund sinkender SchülerInnenzahlen wird Schulraum für Differenzierung und Ruheräume frei, so dass auch hier keine größeren Baumaßnahmen notwendig werden.
Die Vereinigung der Lehrer in NRW weist in einem gemeinsamen Appell mit den kommunalen Spitzenverbänden zurecht allerdings darauf hin, dass eine ausreichende Zahl von SonderpädagogInnen, von Pflege- und Assistenzkräften, von SchulbegleiterInnen und SchulsozialarbeiterInnen zur Verfügung gestellt, sowie die Fortbildung von RegelschullehrerInnen gewährleistet sein muss. Dem können wir uns nur anschließen.
Wir im LWL müssen unsere Förderschulen auf sinkende SchülerInnenzahlen vorbereiten und offen sein für Modellprojekte wie Kooperationen und Öffnung auch von Förderschulen für alle Kinder. Gute Beispiele dafür sind die vereinbarte Kooperation in Münster und die In-Klasse in Minden.
Meine Damen und Herren, die Zahl der Menschen mit psychischen Behinderungen steigt dramatisch. Viele werden nicht mehr in ihren Arbeitsalltag zurückkehren können. Wichtig wird sein, diesen Menschen eine Tagesstruktur und Perspektiven für das weitere Leben zu geben.
Auf Antrag der Gestaltungsmehrheit von SPD, GRÜNEN und FDP/Freie Wähler wird der LWL jetzt den Ausbau von Tagesstätten für Menschen mit psychischen Behinderungen angehen. Gespräche der Verwaltung mit den Mitgliedskörperschaften hatten einen Bedarf von rund 300 Plätzen ergeben. In diesem Jahr werden 122 neue Plätze geschaffen, weitere werden in den nächsten Jahren folgen müssen.
Dabei werden zuerst Tagesstätten in den Kommunen gefördert, in denen es ein ausreichendes kommunales Angebot von Kontakt- und Beratungsstellen gibt; die Kommunen also schon investiert haben.
Die Zusammenarbeit von Kommunen und LWL ist notwendig, wenn wir erreichen wollen, dass möglichst viele Menschen mit psychischen Behinderungen außerhalb von Einrichtungen wie Kliniken und Wohnheimen leben können. Aber dies ist nur der erste Schritt. Die Bedarfe müssen im Interesse der betroffenen Menschen letztendlich alle so gut wie möglich erfüllt werden. Dafür werden wir uns einsetzen.
Einsetzen werden wir uns auch dafür, dass der eingeschlagenen Weg bei der Energieeinsparung in unseren Einrichtungen weiter fortgesetzt und ausgebaut wird. Dabei ist das Energiedatenmanagement ein Meilenstein, der den BLB in die Lage versetzt, die Verbräuche zu analysieren und Maßnahmen zu ergreifen, wo weitere CO2- und Kosteneinsparungen erreicht werden können. Die drei in Passivhausbauweise erstellten Tageskliniken zeigen in beeindruckender Weise, dass es möglich ist, dass sich Mehrkosten beim Bau durch Einsparungen bei den Betriebskosten amortisieren.
Daher ist es richtig, dass für den Bau des Hauses 26 in der LWL-Klinik Münster und für den Neubau eines Ambulanz- und Ärztehauses in der LWL-Klinik Paderborn, Alternativen für eine weitere Optimierung der energetischen Ausstattung mit der Darstellung von Kosten und Amortisationszeiträumen von der Verwaltung erarbeitet werden.
Meine Damen und Herren, die Energiewende findet auch auf kommunaler Ebene statt. Daher begrüßen wir aus ökologischer, aber auch aus ökonomischer Sicht die Bemühungen der WLV, in die Stromproduktion über den Bau einer Windkraftanlage einzusteigen.
Einsteigen ist ein gutes Stichwort, wenn man über die Diskussionen im Kulturbereich spricht. Was wollen wir zum Thema „Preußen“ überhaupt erreichen, auch im Zusammenhang mit dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Die notwendige Sanierung der Abbruchkante ist das eine, die Darstellung des kulturellen Erbes einschließlich der Situation der 1300 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die beim Ausbau eines Stollens im Wittekindsberg für die Rüstungsindustrie eingesetzt waren, das andere. Und wieder ganz etwas anderes ist die Frage, wo und in welchem Ambiente die BesucherInnen ihre Currywurst essen.
Und da ärgert es, wenn der Landesdirektor und die Kulturdezernentin uns über die Presse wissen lassen – noch bevor der Fachausschuss informiert wird – dass das Preußen-Museum in Minden „eine zentrale Funktion behalten soll. Dafür müsse allerdings noch 2 Mio. investiert werden.“
Meine Damen und Herren, es gibt einen Beschluss und der lautet: Eine zusätzliche Nettohaushaltsbelastung soll für den LWL bei Übernahme des Museums nicht entstehen.
Im Kulturbereich liegt unser Augenmerk darauf, unsere bestehenden Angebote für alle Menschen nutzbar zu machen, die guten Ansätze von Führungen mit GebärdensprachdolmetscherInnen, die ersten Seiten im Museumsführer in Brailleschrift auszubauen, demnächst unsere Kulturangebote auch in Leichter Sprache zu präsentieren.
Die Beteiligung der Betroffenenvertretungen, vorbildlich bei Planung und Bau des LWL-Museums für Kunst und Kultur, muss Standard werden. Aus vielen Mosaiksteinchen muss ein Gesamtkonzept werden.
Wir haben beantragt und gemeinsam beschlossen, dass der LWL Konzepte für Inklusionsmaßnahmen in den Museen und Heimatstuben bezuschussen kann. Wir helfen damit direkt vor Ort, den Einstieg in das barrierearme Museum zu schaffen.
Meine Damen und Herren, Haushaltsberatungen im LWL bringen für alle PolitikerInnen die besondere Schwierigkeit, trotz der angespannten Finanzsituation im eigenen Kreis oder in der eigenen Stadt, die Notwendigkeit der Umlageerhöhung zu akzeptieren und zu verteidigen.
Die Gestaltungsmehrheit von SPD, FDP/Freie Wähler und GRÜNE hat sich auch in diesem Jahr entschieden, dem Vorschlag des Landesdirektors, die Umlage um 0,5 % -Punkte zu erhöhen, nicht zu folgen – nicht weil es finanzpolitisch unsinnig gewesen wäre, nein, im Gegenteil. Aus finanzpolitischer Sicht wäre es richtig gewesen, denn wir verschulden uns weiter. Nein, allein aus Rücksicht auf die Kommunen in Westfalen-Lippe, werden wir eine Reduzierung der Erhöhung auf nunmehr 16,4 %-Punkte beschließen.
Das bedeutet, dass wir erneut nahezu 28,1 Mio. Euro der Ausgleichsrücklage in Anspruch nehmen und uns bewusst weiter zu Lasten der nachfolgenden Generationen verschulden.
An dieser Stelle der Dank unserer Fraktion an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LWL, besonders an den 1. Landesrat Herrn Löb für die große Geduld, mit der alle unserer Fragen im vergangenen Jahr beantwortet wurden und an die KollegInnen von SPD und FDP/Freie Wähler für die stets offene und vertrauensvolle Debatte, die uns nicht nur bei der Umlage zu gemeinsamen Beschlüssen geführt hat.
Meine Damen und Herren, die Menschen in Westfalen haben ein Recht auf Leistungen des LWL. Das gilt zukünftig eben auch in besonderer Weise für alle finanziellen Anstrengungen, die wir im Bereich der Inklusion unternehmen werden.
Bundespräsident Joachim Gauck hat beim Landkreistag sinngemäß gesagt: „Eine Gesellschaft ist veränderungsfähig, wenn auch nicht immer veränderungswillig. Inklusion ist eine Frage der Leistungsfähigkeit unserer Demokratie. Sie erfordert ein finanzielles Engagement aller politischen Ebenen.“ Zitat Ende.
Ich füge hinzu: Auch aller gesellschaftlichen Ebenen. Sie erfordert vor allem eine Veränderung in den Köpfen, damit die getrennten Lebenswelten überwunden werden. Dies voranzubringen, meine Damen und Herren, ist unsere Aufgabe.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN freut sich darauf, aktiv in den nächsten Monaten am Aktionsplan Inklusion mitzuarbeiten und in den nächsten Jahren, die Umsetzung der zu beschließenden Maßnahmen zu begleiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Martina Müller
Münster, 31. Januar 2013
es gilt das gesprochene Wort