Gemeinsamen Unterrichts
13. Mär. 2001
Antrag "Förderung des Gemeinsamen Unterrichts an Regelschulen": LDK vom 4.-6.5.2001 in Bielefeld
Antrag auf Aufnahme des Themas
„Förderung des Gemeinsamen Unterrichts an Regelschulen“
auf die Tagesordnung der LDK vom 4.-6.5.2001 in Bielefeld
Die LDK möge beschließen:
Die LDK von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN NRW appelliert an die Fraktion von B90 / DIE GRÜNEN im Landtag NRW, in den Verhandlungen mit dem Koalitionspartner als Beitrag zur Qualitätssicherung der sonderpädagogischen Förderung eine deutlich verbesserte Finanzierung für den Gemeinsamen Unterricht in Regel schulen durchzusetzen. Die personellen Voraussetzungen für die qualifizierte Durchführung dieser Aufgabe haben sich seit der Einführung des Gesetzes zur Weiterentwicklung sonderpädagogischer Förderung kontinuierlich verschlechtert. Sie haben mit dem Haushalt 2001 ihren vorläufigen Tiefpunkt erreicht. Die Standards für den Gemeinsamen Unterricht sind für die Kinder mit Behinderungen nicht mehr tragbar. Es muss verhindert werden, dass die Idee der Integration durch chronische Unterfinanzierung und die damit einhergehenden Standardverschlechterungen diskreditiert und die Weiterentwicklung des gemeinsamen Unterrichts verhindert wird.
Die LDK mahnt über den derzeitigen Bestand der 29 Integrationsschulen in der Sekundarstufe I hinaus den zügigen Ausbau des zieldifferenten GU in den weiterführenden Schulen an.
Begründung:
Die Umsetzung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“) bedeutet für die Beschulung behinderter Kinder die frei wählbare Möglichkeit des gemeinsamen Unterrichts behinderter und nichtbehinderter Kinder in der wohnortnahen Regelschule.
Insgesamt werden in der Bundesrepublik Deutschland erst etwa 5% der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf integrativ gefördert, obwohl die Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates mit der Empfehlung „Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlichen“ bereits 1973, also vor mehr als einem Vierteljahrhundert! – den Anstoß zu dieser Entwicklung gegeben hat. Der Vergleich mit anderen Ländern (Norwegen und Italien: 100%, Portugal: 70%, Spanien: 50%, Österreich: 30%) macht deutlich, dass die Bundesrepublik Deutschland diesbezüglich noch immer als „Entwicklungsland“ anzusehen ist.
Grüne haben sich seit jeher dafür stark gemacht, dass der gemeinsame Unterricht für Kinder mit und ohne Behinderung zur Normalität wird.
Unsere Forderung ist das Wahlrecht zwischen Sonder- und Regelschulbesuch für alle Eltern mit behinderten Kindern. Dies auch deshalb, weil die Sonderschulen bis heute ihrem Auftrag der gesellschaftlichen Eingliederung der Kinder mit Behinderungen nicht gerecht werden konnten. Im Gegenteil: Menschen mit Behinderung bleiben ausgeschlossen aus vielen wesentlichen Bereichen des sozialen Lebens, in entscheidenden Entwicklungsmöglichkeiten beschnitten und – wie die langjährige Erfahrung unwiderlegbar zeigt – auf Dauer isoliert. Für die Eltern der Betroffenen ein viel zu hoher Preis für eine sogenannte besonders qualifizierte Förderung, zumal selbst die in der Sonderschule vielfach längst nicht gewährleistet werden kann. Daß die Vorteile von Integration gegenüber Separation durch das Sonderschulsystem eindeutig überwiegen, wird von keiner Seite angezweifelt.
Dennoch ist der Stand der Integration, sowie die schulischen Grundvoraussetzungen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen in NRW im bundesweiten Vergleich eher im unteren Durchschnitt zu sehen.
Seit 1995 gibt es in NRW dafür die gesetzlichen Grundlagen im Gesetz zur Weiterbildung der sonderpädagogischen Förderung in Schulen, im Schulpflichtgesetz und im Schulverwaltungsgesetz. Die Koalitionsvereinbarung dokumentiert den politischen Willen, dies weiterzuentwickeln. „Auch künftig finden behinderte Kinder in einem differenzierten System sonderpädagogischer Förderung die bestmöglichen Entwicklungschancen. Möglichst vielen Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf soll in der Primarstufe die Teilnahme am gemeinsamen Unterricht ermöglicht werden. Den Schulversuch zur sonderpädagogischen Förderung in der Sekundarstufe I und die Erfahrungen mit Sonderpädagogischen Fördergruppen werden wir wissenschaftlich auswerten. Mittelfristig wollen wir in jedem Kreis/jeder kreisfreien Stadt zumindest ein qualifiziertes Integrationsangebot in allgemeinen Schulen der Sekundarstufe I schaffen.“
Der gemeinsame Unterricht in NRW tritt aber auf der Stelle.
Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt schneidet NRW (laut Prof. Preuss-Lausitz/1997) bei den schulischen Gesamtbedingungen schlechter ab. 1997 lagen die SchülerInnenzahlen pro Klasse in Grundschulen um 1 höher als im Bundesdurchschnitt, das Verhältnis SchülerIn – LehrerIn lag bei 22,2 zu 20,9 im Bundesdurchschnitt, die LehrerInnen waren 1 Jahr älter als im Bundesdurchschnitt. Ähnliche Bedingungen gelten an den Sonderschulen. Hieraus ergeben sich insgesamt schlechtere Lernbedingungen und Voraussetzungen für Gemeinsamen Unterricht und somit auch für Integration.
Zwar ist der Zugang für die Primarstufe leichter geworden. Dennoch gibt es regional riesige Unterschiede. So zeigen die jüngsten Zahlen aus dem Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, dass im Regierungsbezirk Köln eine Teilnahme der Kinder mit Behinderung am gemeinsamen Unterricht zu ca. 19% realisiert wird, während die im RP Münster nur 10 % sind. Der Ennepe-Ruhr-Kreis weist eine GU-Versorgung von 58% auf, während in Gelsenkirchen nur 2% der behinderten Grundschulkinder am GU teilnehmen.
Eine Ausweitung des gemeinsamen Unterrichts in der Primarstufe ist in NRW zwar vorgesehen, sie geht aber zu Lasten der Qualität, da die Stellen des Mehrbedarfs trotz mittlerweile doppelter SchülerInnenzahl im GU nicht aufgestockt werden (seit 1995 auf 221 Stellen festgeschrieben)
Schulentwicklungsplanung vor Ort lässt zu wünschen übrig, so dass auch die Stellen für den Grundbedarf immer hinterherhinken. Das erschwert die konzeptionelle und pädagogisch-praktische Arbeit der Teams im GU. Die Bereitschaft der KollegInnen zur Übernahme des GU nimmt ab. Immer mehr Kinder im gemeinsamen Unterricht müssen sich eine konstante Anzahl von LehrerInnen teilen. Dies führt immer häufiger dazu, dass vom gemeinsamen Unterricht abgesehen wird, der Bedarf an Sonderschulen wächst.
Kinder, die den gemeinsamen Unterricht in der Grundschule erfolgreich durchlaufen haben, werden mangels einer ausreichenden Anzahl von weiterführenden Schulen mit gemeinsamem Unterricht wieder in die Sonderschule überwiesen. GU in der Sekundarstufe wird derzeit an nur 29 Standorten in ganz NRW im Modellversuch erprobt, das ist eine weiterführende Schule auf mindestens 35 integrativ arbeitende Grundschulen. Die Überweisung zu den Sonderschulen führt oft zu Rückschritten in der Entwicklung der Kinder, die Separation in Richtung Werkstatt für Behinderte ist vorprogrammiert. Angebote an weiterführenden Schulen sind in NRW noch viel zu selten.
Der GU ist in der Sekundarstufe nur zielgleich bzw. im Schulversuch möglich. Schüler der Sekundarstufe I und II, die der sonderpädagogischen Förderung bedürfen, können mit Zustimmung des Schulträgers allgemeine Regelschulen besuchen, sofern durch die Schulaufsicht festgestellt wird, dass das Bildungsziel der Regelschule erreicht werden kann und diese ebenfalls über erforderliche personelle und sächliche Ausstattung verfügt.
SchülerInnenbeförderungskosten ist für SchülerInnen nicht hinreichend geklärt. Schulträger von Sonderschulen (oft Kreise oder die Landschaftsverbände) sind nicht bereit, eingesparte Fahrkosten an die Schulträger des GU abzugeben. Ähnliches gilt für Sachmittel.
Es ist dringend angesagt, dass sich Grüne in der Koalition mit Nachdruck für die Weiterentwicklung des gemeinsamen Unterrichts einsetzen.
Insbesondere heißt das:
* Aufstockung der LehrerInnenstellen für den GU entsprechend den angestiegenen SchülerInnenzahlen
* Schaffung eines flächendeckenden Angebots an gemeinsamem Unterricht in der Sekundarstufe ; bewährte pädagogische Konzepte des GU an weiterführenden Schulen – auch aus anderen Bundesländern – müssen in die Regelform überführt werden.