Rede Karen Haltaufderheide zur Digitalisierungsstrategie des LWL

Redebeitrag auf der Landschaftsversammlung am 29.6.2021

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren,

eine Landschaftsversammlung mit dem Schwerpunkt Digitalisierung war bereits für März 2020 geplant. Inzwischen sind bei uns allen die praktischen Erfahrungen mit mehr oder weniger guten Umsetzungen von Digitalisierung gereift und so mancher und manche wurde unfreiwillig in die digitale Welt geschubst. Und auch wenn vieles nicht gut gelaufen ist: versuchen Sie bitte mal sich vorzustellen, was wir in den letzten anderthalb Jahren gemacht hätten ohne Möglichkeiten des digitalen Arbeitens, Lernens und Kommunizierens. Ich bin mir sicher, die Folgen der Pandemie wären sehr viel schwerer zu bewältigen gewesen.

Aber natürlich gibt es Digitalisierung nicht erst seit Corona. Seit vielen Jahren ist klar:  Digitalisierung wird ständig weiterentwickelt, und wer sich nicht an der Gestaltung beteiligt, muss hinnehmen, dass sie nach den Interessen anderer ausgerichtet wird.

Deswegen ist es gut, dass der LWL schon früh sein Digitales Ökosystem mit einer weitreichenden Digitalisierungsstrategie entwickelt hat. Und auch der agile Ansatz mit Berücksichtigung permanenter Change-Prozesse ist richtig. Im systemischen Digitalisierungsleitbild mit den vier Perspektiven Technik, Menschen, Organisation und Prozesse im normativen Rahmen von Datenschutz, Risikomanagement, und Recht – damit auch Inklusion – ist theoretisch alles angelegt, was notwendig ist.

Dies alles wurde uns erstmals 2019 vorgestellt. Entscheidend ist aber, ob die Berücksichtigung dieser Strategie auch in der von immer schnelleren Entwicklungen getriebenen Umsetzung eingehalten werden kann. Der Handlungsdruck ist schon da, bevor die Strategien für alle Handlungsfelder fertig sind. Und gefundene Lösungen drohen schneller zu veralten, als sie umgesetzt werden können. Deshalb ist es umso wichtiger, die Digitalisierung im LWL auf ein solides Konzept zu stützen und genügend Personal einzusetzen – so wie die Stabsstelle Digitalisierung es vorsieht. Dann ist es leichter, einzelne Bausteine zu erneuern, wenn sie nicht mehr aktuell sind. Notwendig sind unter diesen Bedingungen auch Priorisierungen. Es darf aber der Blickwinkel nicht zu stark verengt werden.

Wir dürfen uns nicht auf Digitalisierung von Verwaltungsakten beschränken. Das digitale Ökosystem reicht weit darüber hinaus. Digitalisierung ist ein Werkzeug. Sie muss einen Gewinn bringen für die Menschen, die mir ihr arbeiten, für diejenigen, für die der LWL Leistungen erbringt und auch für die Leistungen selbst. Dazu muss die Gestaltung der Umsetzung geklärt werden.

Hierzu ein paar konkrete Beispiele: Für die Mitarbeitenden beim LWL kann digitales Arbeiten eine leichtere Verfügbarkeit von Daten bringen und mehr Freiheit, wann und wo sie arbeiten. Digitales Arbeiten darf aber weder zu einer Rund um die Uhr-Verfügbarkeit und der Mehrfachbelastung von Home Office und Kinderbetreuung gleichzeitig als Normalzustand führen, noch die sozialen Arbeitszusammenhänge zerreißen. Es müssen mit den Mitarbeitenden Regeln entwickelt werden für eine gelingende Arbeitsorganisation in digitalen Zeiten. Das betrifft auch die Auswirkungen digitalen Arbeitens auf zukünftige Raumprogramme. Dem Verzicht auf das eigene Büro muss ein Mehrwert gegenüberstehen.

Die Kultur im LWL hat Perspektiven aufgezeigt, welche zusätzlichen Angebote durch Digitalisierung eröffnet werden können. Das beginnt mit dem Einsatz digitaler Techniken in der Archäologie und reicht über die Erschließung neuer Kundenkreise durch digitale Museumspräsentationen oder die digitale Öffnung der Archive bis zum digitalen Ticketverkauf.

Klimaschutz und Digitalisierung sind eng miteinander verschränkt. Einerseits kann digitale Technik viel dazu beitragen, Emissionen zu verringern, etwa durch Vermeidung von Mobilität und passgenaue Steuerung und Kontrolle von Anlagen. Auf der anderen Seite muss auch die IT-Infrastruktur bis hin zur Entsorgung klimagerecht gestaltet werden. Stichwort Green IT.

Die Gesundheit eröffnet mit Telemedizin und Patientenportalen neue Möglichkeiten für die medizinische Versorgung und Gesundheitsförderung.

In den Bereichen von Gesundheit und Eingliederungshilfe steht neben Erleichterungen von Dokumentations- und Antragsverfahren die Herausforderung, Digitalisierung für besonders vulnerable Gruppen nützlich zu machen. Wir sind davon überzeugt, dass der LWL eine besondere Rolle spielen muss hinsichtlich der in diesem Bereich aufkommenden Regelungsbedarfe. Das Recht auf Selbstbestimmte Teilhabe gilt auch für die digitale Welt. Dazu gehört die Möglichkeit, digitale Angebote zu nutzen, aber auch die freie Entscheidung, sie abzulehnen. In der Eingliederungshilfe geht es um viele verschiedene Handlungsfelder, zum Beispiel:

  1. Möglichkeiten der Kompensation von Behinderung durch digitale Technik. Dies ist vermutlich der am wenigsten umstrittene Bereich. In der Umsetzung allerdings werden Erfolge häufig gefährdet durch eine fehlende Kontinuität im Wechsel der Systeme, etwa von Schule zu Beruf oder zwischen verschiedenen Einrichtungen.
  2. Entlastung der Pflegekräfte von Arbeitselementen, die digital erfüllt werden können. Ich betone: Es muss um Entlastung, nicht um Ersatz von Pflegekräften gehen. Ein möglicherweise entstehender Zeitgewinn muss in menschliche Zuwendung fließen.
  3. Eine saubere Abgrenzung von notwendiger Sicherheit und menschenunwürdiger Überwachung bei der Nutzung digitaler Systeme. Wer sich schon einmal auf einer Messe für Anbieter von pflegeunterstützenden Sicherungssystemen umgesehen hat, weiß, dass zurzeit in diesem Bereich rechtliche Hürden wenig Gewicht haben.
  4. Verfügbarkeit und Befähigung zur Nutzung digitaler Medien. Keinen Internetzugang zu haben oder nicht zu wissen, wie man ihn nutzen kann, wird zunehmend zur Behinderung. Damit wird möglichen Einschränkungen eine weitere hinzugefügt statt sie wenigstens ansatzweise zu kompensieren, indem die Welt in einen eingeschränkten Bewegungsbereich hereingeholt wird. Deshalb muss bei einer Digitalisierungsstrategie im Bereich der Eingliederungshilfe auch darüber nachgedacht werden, wie Menschen mit Behinderungen der Zugriff auf das Internet gewährt und erleichtert wird.
  5. Digitale Barrierefreiheit ist eng verknüpft mit dem letztgenannten Punkt. In dieser Hinsicht hat der LWL selbst einiges vorzuweisen, aber auch noch Luft nach oben. So sind etwa Antragsformulare für Leistungen zur Sozialen Teilhabe auf den Seiten des LWL nicht barrierefrei herunterzuladen. Viele Einrichtungen selbst haben keine barrierefreien Internet-Auftritte.

Meine Damen und Herren, der eine oder die andere von Ihnen hat sich vielleicht eben gefragt, ob die aufgezählten Themen tatsächlich zum Aufgabenbereich des LWL gehören. Wir sehen das so, und zwar unter zwei Gesichtspunkten:

Erstens ist der LWL Kostenträger der Eingliederungshilfe. Damit übernimmt er auch eine Verantwortung, für welche Art von Teilhabe der Menschen er bezahlt. Wir meinen, er sollte deshalb auch in der Diskussion um Standards der Digitalisierung  eine wichtige Rolle spielen.

Zweitens hat der LWL sich glücklicherweise bislang an der politischen Debatte um Rechte von Menschen mit Behinderungen auch landes- und bundesweit intensiv beteiligt. Wir erwarten von ihm, dass er dies auch in der Diskussion um digitale Rechte und Ausgestaltung der Digitalisierung tut.

Meine Damen und Herren, die knappe Zeit reicht nicht annähernd, um den Aufgabenumfang zu umreißen, den der LWL in Sachen Digitalisierung vor sich hat. Wir wissen die Steuerung der Digitalisierung in guten Händen, wir wissen aber auch, dass es sich bei diesem drängenden und nicht endenden Prozess um einen Kraftakt handelt, der finanziell und personell gut ausgestattet werden muss und an dem alle beteiligen sind, damit das digitale Ökosystem agil entwickelt mit Leben erfüllt wird und gedeihen kann.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

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