Brief: BUND NABU NRW
Offener Brief: An die Landesvorstände von BUND und NABU NRW Verstaatlichung der Straßenbauverwaltung NRW
An die Landesvorstände
von BUND und NABU NRW
c/o Klaus Brunsmeier und Volkhard Wille
Merowinger Str. 88
40225 Düsseldorf
28.03.2000
Betr.: Verstaatlichung der Straßenbauverwaltung NRW
Liebe Kolleg/innen aus den Landesvorständen von BUND und NABU NRW,
aus einer kurzen Mitteilung von Reiner Priggen haben wir erfahren, daß ihr am 14.03.2000 an einem Gespräch der grünen Landtagsfraktion mit den Vorstandsspitzen von BUND und NABU teilgenommen habt. Dabei ging es in erster Linie um die Frage der Verstaatlichung der Straßenbauverwaltung sowie das Verbandsklagerecht in den aktuellen Gesetzgebungs-verfahren. Aus der Mitteilung von Reiner Priggen haben wir entnommen, daß sich BUND und NABU sich eindeutig für eine Verstaatlichung des Straßenbaus ausgesprochen haben.
Obwohl mit den Beschlüssen von SPD- und grüner Fraktion vom heutigen Tage die Frage der Verstaatlichung der Straßenbauverwaltung entschieden ist, möchten wir Euch dennoch einige Überlegungen zur Kenntnis bringen, die aus unserer Sicht gegen diesen Schritt sprechen. Sie sind übernommen aus einem Papier vom November 1999 an unsere kommunal-politische Vereinigung GAR, die in einer Fachkonferenz den beigefügten Beschlußvorschlag übernommen hat.
„(…)
Für den Bereich der Straßenbauverwaltung gab und gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der von der Landesregierung vorgeschlagenen Verstaatlichung.
Grüne Zielsetzung war es immer, die strukturellen Voraussetzungen für eine fachlich fundierte, parlamentarisch begleitete, integrierte Gesamtverkehrsplanung zu schaffen. Dazu gehört ein an den Regionen ausgerichtetes Gegenstrommodell der kommunalen Bedarfsanmeldung für Planungen aller Verkehrsträger sowie die Zusammenfassung aller raum- und regionalplanerischen Kompetenzen „in einer Hand“. Voraussetzung hierfür wäre auf Dauer eine Zusammenführung der Planungsräume für die Sektoren der Straßenpla-nung und der ÖPNV/SPNV-Planung.
Die Landesregierung NRW hat bislang keine nachvollziehbare Begründung für die Verstaatlichung des Straßenwesens gegeben. Im Gesetzentwurf findet sich lediglich der Hinweis, daß „die Verstaatlichung der Straßenbauverwaltung … der in anderen Ländern seit langem bewährten Praxis“ entspreche. Diese rein ordnungspolitische Argumentation läßt alle fachlichen Bezüge für den Vorschlag zur Verstaatlichung vermissen. Dabei werden ja auch jetzt noch verschiedene Modelle einer „Verstaatlichung“ diskutiert:
- Die Aufteilung des Straßenbaus auf fünf staatliche Regionaldirektionen,
- Die Aufteilung des Straßenbaus auf zwei staatliche „Schwerpunkt-Regionaldirektionen“,
- Die Verstaatlichung der Straßenplanung und die kommunale Erledigung des operativen Geschäftes
Die Aufteilung des Straßenbaus auf fünf staatliche Regionaldirektionen:
Bezirksregierungen bzw. die geplanten Regionaldirektionen sind im Kern Aufsichts- und keine Leistungsbehörden. Eine Aufteilung des Straßenbaus auf fünf staatliche Regionaldirektionen hätte organisatorisch und personell einen erheblich höheren Aufwand zur Folge. Die Mehrkosten bei einer solchen Aufteilung hat die Kienbaum Management Consultants GmbH in einer Untersuchung vom Februar 1999 mit einer Größenordnung zwischen 19,5 und 46,6 Mio. DM jährlich ermittelt. Fachlich und strategisch ist das Mengengerüst für eine übergeordnete Steuerung und Qualitätssicherung je Regionaldirektion zu klein, sodaß bei höheren Kosten mit deutlichen Qualitätseinbußen zu rechnen wäre.
Die Aufteilung des Straßenbaus auf zwei staatliche Schwerpunkt-Regionaldirektionen:
Das Modell mit je einer Schwerpunkt-Regionaldirektion für Straßenbau im Rheinland und in Westfalen-Lippe würde die Ausgewogenheit zwischen den fünf (oder sechs) Regionaldirektionen sprengen, d.h. die „Schwerpunkt-Regionaldirektionen“ hätten Aufgaben in ‚fremden‘ Bezirken und würden fachliche Konflikte mit den anderen Regionaldirektionen austragen. Die demokratische Kontrolle dürfte in diesem Modell kaum zu lösen sein. Die Legitimation eines entsprechenden Gremiums vor allem im Verhältnis zu den Regionalräten dürfte schwer herzustellen sein. Weder im Hinblick auf Effizienz noch auf Wirtschaftlichkeit wäre ein Nutzen erkennbar, der kommunale Einfluß auf die Aufgabenerfüllung des Straßenwesens würde wegfallen.
Die Verstaatlichung der Straßenplanung und die kommunale Erledigung des operati-ven Geschäftes:
Dieses in jüngster Zeit als Kompromiß diskutierte Modell, nach dem nur Straßenplanungsaufgaben auf die staatlichen Regionaldirektionen verteilt und die sogenannten operativen Aufgaben (Bau, Erhaltung, Unterhaltung und Betrieb sowie Verwaltung der Straßeninfrastruktur) überörtlich kommunal erledigt werden sollen, verkennt die fachlich gebotene einheitliche Wahrnehmung aller mit dem Straßenwesen verbundenen Aufgaben aus einer Hand. Es käme zu einer Vielzahl neuer Schnittstellen zwischen Linienplanung, Entwurfsplanung und Bauausführung und damit zu höheren Kosten. Vorhandene Synergien würden zerstört und dadurch der Verwaltungsaufwand erheblich erhöht.
Da mit dem Begriff der „Planung“ ein Bündel an Aufgaben im Planungsprozeß gemeint sein kann, bedarf es dringend einer Differenzierung in folgende Bereiche:
- Die Aufgaben der – organisatorisch selbständigen – Planfeststellungsbehörde,
- Die Erarbeitung eines Vorschlags zur Fortschreibung der Bedarfspläne,
- Die Vorbereitung der Linienbestimmung,
- Die Erarbeitung der Entwurfsplanung,
- Die Ausarbeitung der Planfeststellungsunterlagen,
- Die Ausführungsplanung.
Soweit nicht die gesamte „Planung“, sondern nur der vorgelagerte Bereich bis zur Linienbestimmung verstaatlicht werden soll, würden sich die oben geschilderten Negativauswirkungen zwar abschwächen. Allerdings wäre dann nur noch eine relativ geringe Zahl von Mitarbeiter/innen je Landschaftsverband zu übernehmen – von einer „Verstaatlichung“ könnte also nicht mehr die Rede sein. Aber selbst gegen diese Variante spricht die enge fachliche und inhaltliche Verzahnung der vorgelagerten Bedarfs- und Linienplanung mit der nachfolgenden Entwurfsplanung und der baurechtlichen und technischen Umsetzung der Projekte.
Entschädigungsregelung und Finanzausgleich bei einer Verstaatlichung:
Vollkommen ungeklärt sind bis dato alle Fragen einer angemessenen Entschädigungsregelung bei Übertragung des Eigentums an den Landesstraßen, den Nebenanlagen und dem sonstigen der Landesstraßenbauverwaltung dienenden Vermögens auf das Land. Eine ent-schädigungslose Übertragung würde einen Griff in die Kassen der Kommunen darstellen, die für die Nebenanlagen an den Straßen und das sonstige Betriebsvermögen nahezu ausschließlich eigene Mittel aufgebracht haben.
Die Regelung aller finanzieller Konsequenzen aus einer Verstaatlichung der Straßenbauverwaltung kann und darf nicht erst im Gemeindefinanzierungsgesetz 2001 erfolgen; es muß zu einer Klärung dieser Fragen des Finanzausgleichs zeitgleich mit der Entscheidung über die künftige Organisationsform kommen. Dabei darf es nicht zur Belastung der Kommunen mit Kosten kommen, die ausschließlich aus einer Verstaatlichung selbst resultieren (im Gesetzentwurf ist von 100 Mio. DM zusätzlich für Overheadkosten bzw. Stellen in Querschnittsbereichen die Rede); ferner ist die bislang erbrachte kommunale „Eigeninteressenquote“ von jährlich ca. 300 Mio. DM zu berücksichtigen.
Übergang für die Beschäftigten der Straßenbauverwaltung sozialverträglich gestalten:
Sollte es trotz aller fachlich begründeten Argumente zu einer Verstaatlichung der Straßen-bauverwaltung kommen, so ist der sozialverträglichen Ausgestaltung bei der Übernahme des dort beschäftigten Personals besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die unterschiedlichen Strukturen der Tarifwerke und der Zusatzversorgungssysteme führen dazu, daß etliche Gruppen von Angestellten, die von den Landschaftsverbänden zum Land wechseln, von spürbaren Einkommenseinbußen betroffen sein werden.
Die berechtigten Interessen dieser Mitarbeiter/innen dürfen bei einer Verstaatlichung des Straßenbaus nicht ignoriert werden. Viele Beschäftigte – etwa Straßenwärter mit ihren Familien – haben sich auf ihr Gehaltsniveau eingestellt und ihre privaten Dispositionen danach getroffen. Deshalb muß die im Gesetzentwurf enthaltene Übergangsregelung korrigiert und über wesentlich längere Zeiträume sozialverträglich gestreckt werden.
BESCHLUSS-VORSCHLAG:
- Die GAR Fachkonferenz lehnt eine Verstaatlichung der Straßenbauverwaltung ab. Gleichfalls abgelehnt wird eine Teilverstaatlichung des Planungsbereiches, weil sie neue Schnittstellen und damit einen höheren Verwaltungsaufwand und höhere Kosten zur Aufgabenerledigung bedeutet.
- Die GAR Fachkonferenz spricht sich dafür aus, im Rahmen der Verwaltungsstrukturreform die strukturellen Voraussetzungen für eine fachlich fundierte, parlamentarisch begleitete, integrierte Gesamtverkehrsplanung zu schaffen. Die derzeitigen Zuständigkeiten stellen dafür eine gute Ausgangslage dar; sie müßten um die Bereiche der Landes- und Raumplanung, der Gebietsentwicklungsplanung sowie der regionalen Infrastrukturplanung ergänzt werden. Die Planungsräume für die Bedarfsplanung aller Verkehrsträger sind auf Dauer zusammenzuführen. Dies beinhaltet die vollständige Integration der SPNV-Zweckverbände, deren Abgrenzungen entsprechend anzupassen sind. Dabei ist für das Ruhrgebiet eine sinnvolle eigen-ständige Lösung zu finden.
- Die GAR Fachkonferenz spricht sich gegen eine Befrachtung des kommunalen Finanzausgleichs mit der bislang aufgebrachten kommunalen Eigeninteressenquote sowie gegen eine entschädigungslose Übertragung des Eigentums an den Landesstraßen, den Nebenanlagen und dem sonstigen Betriebsvermögen auf das Land NRW aus. Sollte es zu einer Aufgabenverlagerung kommen, so ist der Übergang für die Beschäftigten sozialverträglich auszugestalten.
- Der GAR-Vorstand wird beauftragt, im Sinne dieses Beschlusses bei der Landesregierung und den Landtagsfraktionen zu intervenieren.“
So weit aus unserem Papier vom November 1999. Wir werden die Umsetzung der Zuständigkeitsverlagerung für den Straßenbau in NRW kritisch beobachten und sind auch in Zukunft an einem Austausch über Grundsatzfragen von Mobilitäts- und Verkehrsfragen interessiert.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Pieper
(Fraktionsgeschäftsführer)