GRÜNE fordern Nachbesserung des Gesetzentwurfes BTHG
08. Jul. 2016
Landschaftsverbände verabschieden Resolution an den Bundestag zum Entwurf Bundesteilhabegesetz
Redebeitrag von Martina Müller zur Verabschiedung der Resolution:
Es gilt das gesprochene Wort:
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tragen die vorliegende Resolution der Landschaftsausschüsse des LWL und des LVR mit, weil die darin aufgeführten Forderungen natürlich als Kritik am Entwurf des BTHG auch von uns so gesehen werden. Allerdings sind wird enttäuscht, dass es nicht möglich war, deutlich darüber hinaus klarere Positionen zu den Defiziten des Gesetzentwurfes zu beziehen.
Zunächst einmal möchte ich etwas zum Verfahren sagen. Unsere Mitglieder des Sozialausschusses hatten am 8. Juni, also genau vor 1 Monat, deutlich gemacht, dass es nicht ausreichend sein kann, auf den Referentenentwurf als LWL nur in einer gemeinsamen Stellungnahme der BAGÜS zu reagieren. Die war für den Verband richtig und wichtig, war aber eine Stellungnahme des Kostenträgers.
Für uns als Politik war es wichtig, auch als Fürsprecherinnen der Menschen mit Behinderungen eine Stellungnahme zu formulieren, wobei natürlich der Spagat geschafft werden muss, als Politik auch die Verantwortung für die daraus resultierenden Kosten mitzubedenken.
Aber, das wiederhole ich nur von allen Stellungnahmen die ich bisher gehört und gelesen habe und auch Herr Löb und Herr Münning gesagt haben, niemand kann bisher die genauen monetären Folgen des Gesetzes abschätzen. Insofern lag unser Fokus auf der Bewertung der Inhalte und Auswirkungen für die Menschen mit Behinderungen.
Als es dann eine grundsätzliche Zustimmung für eine Resolution gab, bin ich davon ausgegangen, dass diese von der Politik formuliert und verhandelt werde. Herr Münning hatte schließlich die BAGÜS Stellungnahme hauptverantwortlich auf den Weg gebracht.
Dann wurde die Resolution aus dem Rheinland (sie waren etwas schneller) am gleichen Tag bekannt. Die Rheinländer*innen wollten sie schon am 14. Juni verabschieden. Dass bis dahin eine Zustimmung der Westfälinnen nicht zu organisieren war, liegt ja auf der Hand. Dass aber diese Resolution, der wir zustimmen sollten, dann nur zwischen den beiden Landesräten für Soziales weiter verhandelt wurden, halte ich für ein Armutszeugnis für die Politik. Vom 8. Juni bis 1. Juli (neuer Verabschiedungstermin des LVR) hätte es genug Zeit für eine politische Debatte geben können, nur muss man das wollen. In Zeiten der technischen Möglichkeiten wäre es kein Problem gewesen. Es hat ja auch noch einen Finanzausschuss gegeben.
Nun zu den Inhalten, ich beziehe mich auf zwei wichtige Punkte:
Am 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland in Kraft getreten. Die UN-BRK ist seither geltendes Recht. Mit der Ratifikation hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, deren Ziele umzusetzen. So steht es auch erst einmal in unserer Resolution.
Mit dem nun von der Großen Koalition vorgelegten Gesetzesentwurf für ein Bundesteilhabegesetz (BTHG) werden aber die grundlegenden Ziele der UN-BRK unserer Meinung nach nicht erreicht. Es erfordert Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren für die Punkte, die wir in der Resolution aufführen und auf die ich nicht mehr eingehen werde, und für die Bereiche, die über die in der Resolution aufgeführten Punkte hinausgehen.
Da ist das Wunsch- und Wahlrecht. Das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderung darf durch das BTHG nicht eingeschränkt werden. Warum steht diese Forderung nicht in unserer Resolution?
Der sogenannte Kostenvorbehalt führt nach wie vor dazu, dass vielerorts die Behörden über Wohnen und Lebensform der Menschen entscheiden. Die Bundesregierung will nicht nur am Kostenvorbehalt festhalten, sie will ihn sogar verschärfen. So sollen zukünftig grundsätzlich die Leistungsanbieter*innen den Zuschlag erhalten, die im unteren Drittel der Vergleichsangebote liegen. Dies schränkt nicht nur die Wahl der Betroffenen ein, sondern wird zumindest langfristig auch zu Qualitätseinbußen führen.
Der Grundsatz „ambulant vor stationär“, wie auch das Kriterium der Zumutbarkeit sollen entfallen. So können Sozialämter Menschen mit hohem Assistenzbedarf aus Kostengründen in ein Heim drängen, weil das in diesen Fällen günstiger wäre als ambulant betreutes Wohnen.
In letzter Konsequenz würde das bedeuten, dass die Menschen noch nicht einmal selbst entscheiden dürfen, wie und von wem ihre benötigte Unterstützung erbracht werden soll. Grundsätzlich sinnvolle Poollösungen dürfen nicht zu Dumping und Einschränkung der Persönlichkeitssphäre bei Unterstützungsbedarfen führen. Zwangspoolen darf es nicht geben. Stellen Sie sich vor, Sie wären auf Unterstützung angewiesen und würden gezwungen, sich eine Assistenz zu teilen, die Sie nicht einmal selber aussuchen dürfen. Das ist menschenunwürdig und ein eklatanter Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, die Menschen mit Behinderung zusichert, dass sie selbst über Wohn- und Lebensform entscheiden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen. Warum steht das nicht in unserer Resolution?
Übrigens hat der Landtag NRW am 21. April 2015 in einem gemeinsamen Antrag „Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz“ eine Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts gefordert
Wir kritisieren auch den Zugang zu den Leistungen der Eingliederungshilfe:
Die bisherige Bedingung der „wesentlichen Behinderung“ wird ersetzt durch die „Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft in erheblichen Maße“.
Was heißt das? Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten nur noch Personen, die in 5 von 9 ICF-Bereichen (Teilhabebeeinträchtigungen in bestimmten gesellschaftlichen Situationen) personellen oder technischen Unterstützungsbedarf haben. Warum 5 Unterstützungsbedarfe (und nicht 4 oder 6) ist völlig willkürlich und nirgendwo begründet. So ist zu befürchten, dass der Kreis der Leistungsberechtigten deutlich eingeschränkt werden soll und das durch eine willkürliche Festlegung. Muss zukünftig ein psychisch kranker Mensch behaupten, er habe Mobilitätseinschränkungen? Warum findet sich dazu nichts in der Resolution?
Und da sind wir bei einem Punkt, den ich noch weniger verstehe. Im ersten Aufschlag der LVR-Resolution gab es einen Punkt, der den Behinderungsbegriff nach der UN-BRK beschrieb. Sie haben den Absatz im Antrag der Fraktion Die Linke.
Warum wurde dieser so wichtige Punkt gestrichen. Im Finanzausschuss hätten wir die Chance gehabt, darüber zu diskutieren. Das wurde lapidar abgelehnt, weil die Rheinländer*innen einen Tag später entscheiden würden. Aber es hätte für sie kein Problem dargestellt, da es ja ihre eigene Fassung war. Es wurde auch gar nicht begründet, warum der Punkt gestrichen wurde. Jetzt nach der Verabschiedung durch den LVR damit zu kommen, ist natürlich auch nicht hilfreich.
Ich habe in Ihrem Mitarbeiter*innenbrief gestern gelesen Herr Löb, dass der Entwurf des BTHG aus Ihrer Sicht ein behinderungspolitischer Meilenstein sei, weil es zu einer Trennung von fachlichen Unterstützungsleistungen und existenzsichernden Leistungen kommt. Die Trennung ist richtig und gut so. Und sie schreiben weiter: Niemand soll also alleine aufgrund seiner Behinderung zum Sozialhilfe-Empfänger werden. Auch das ist in der Theorie so.
In der Realität werden lediglich jene Menschen entlastet, die nur Eingliederungshilfe beziehen. Denn nur die Eingliederungshilfe wird aus der Sozialhilfe herausgelöst. Wer zusätzlich Hilfe zur Pflege braucht oder andere Leistungen wie Blindenhilfe bezieht, bleibt im Sozialhilferecht und wird keine finanzielle Verbesserung erfahren. Dies ist aber der Großteil der Menschen mit Behinderung. Für sie bleibt die Diskriminierung, dauerhaft ein Leben knapp oberhalb von Hartz IV führen zu müssen. Die einzige wirkliche Verbesserung ist, dass das Partnervermögen nicht mehr angerechnet werden soll. Ein Meilenstein?
Sie schreiben weiter Herr Löb, aus ihrer Sicht sei das BTHG sehr zu begrüßen, denn die Hilfen werden bspw. künftig auch stärker von den Betroffenen her geplant werden und nicht danach, welche Strukturen (stationär/ambulant) zur Verfügung stehen. Solange der Kostenvorbehalt besteht, ist das reine Theorie.
Wir erwarten vielmehr, dass sich der Alltag vieler Menschen deutlich verschlechtern wird und die Selbstbestimmung und die Teilhabemöglichkeiten stark eingeschränkt werden.
Sie kündigen in ihrem Mitarbeiter*innenbrief an, dass der LWL eine begleitende Auswertung fordern wird und den Finger heben wird, wenn es zu Entwicklungen mit hohen neuen Kostenfolgen kommt. Wir würden uns wünschen, dass im LWL Politik und Verwaltung den Finger heben, wenn sich herausstellt, dass viele Menschen zukünftig Nachteile haben werden.
Die Resolution ist nicht falsch, daher stimmen wir ihr zu. Sie ist aber mutlos, wir als Politiker*innen und als Anwält*innen für die Menschen mit Behinderungen haben eine Chance vertan, eindeutig Stellung zu beziehen. So müssen wir uns nicht wundern, wenn diese Stellungnahme nichts ausrichten wird bei Ihren politischen Kolleg*innen der GroKo in Berlin.
Den Wortlaut der Resolution finden Sie hier: =>
Weitere Infos unter folgenden links: