modernen Maßregelvollzug
28. Okt. 2007
2007-10-28 GRÜNE für modernen Maßregelvollzug – Gegen die Sparforensik der schwarz-gelben Landesregierung
Antrag zur Beschlussfassung durch den LPR am 28.10.2007
GRÜNE für modernen Maßregelvollzug – Gegen die Sparforensik der schwarz-gelben Landesregierung
Die Unterbringung im Maßregelvollzug kann für psychisch- oder suchtkranke Menschen, die straffällig geworden sind, richterlich angeordnet werden. Für Bündnis 90/Die GRÜNEN sind Heilung oder Linderung der Erkrankung und der Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten im Sinne des Gesetzes über den Maßregelvollzug NRW gleichberechtigte Ziele. Nur gute therapeutische Angebote schaffen Sicherheit und helfen zudem den Betroffenen. Bloßes Wegsperren psychisch kranker StraftäterInnen wäre nur eine gefährliche Scheinsicherheit.
Aber genau in diese Richtung könnten die Planungen der schwarz-gelben Landesregierung führen, die das Ziel haben, kurzfristig die Kosten für den Maßregelvollzug zu dämpfen. Es entsteht eine „Sparforensik“, die Personal- und Sachkosten senkt, die Mittel für die geplanten neuen Einrichtungen in Duisburg, Essen, Herne, Münster und Köln kürzt , Raumprogramme zusammenstreicht und geplante Belegungszahlen aufstockt.
Aktuelle Überlegungen zu strukturellen Veränderungen wie die Einrichtung größerer Stationen, gesonderte Unterbringung von LangzeitpatientInnen oder Nachteinschluss sind ausschließlich von Überlegungen zur Kostendämpfung, nicht von therapeutischen Notwendigkeiten diktiert. Diesen gefährlichen Trends muss grüne Politik entgegenwirken.
Grüne Anforderungen an eine zukunftsweisende Forensik in NRW:
Sicherheit durch Therapie
Eine erfolgreiche Behandlung und Rehabilitation von psychisch kranken und suchtkranken StraftäterInnen stellt grundsätzlich den wirksamsten Beitrag zum Schutz und zur Sicherheit der Bevölkerung dar. Die Erfahrungen zeigen: Je qualifizierter und erfolgreicher die Therapie, desto geringer die Rückfallquote, desto geringer die Verweildauer und desto höher die Sicherheit. Die Rückfallquote ist im Maßregelvollzug erheblich geringer als im Strafvollzug!
Wir fordern:
- Eine menschenwürdige Umgebung und ein angemessenes Raumprogramm sind für eine erfolgreiche Therapie unabdingbar.
- Kleine Stationen mit maximal 20 Plätzen sind Grundvoraussetzung für den Aufbau therapeutisch notwendiger Beziehungen. Qualifizierte Behandlung, Bildungs-, Arbeits- und Freizeitangebote sind therapeutisch notwendig. Mehrzweckräume und Zimmer für BesucherInnen sind kein Luxus, sondern sinnvolle Ergänzungen.
- Nachteinschluss darf nicht ohne Rücksicht auf therapeutische Gesichtspunkte aus reinen Kostengründen eingeführt werden, sondern muss immer Bestandteil eines therapeutisch sinnvollen Konzeptes sein. Angemessene bauliche und räumliche Bedingungen – Einzelzimmer mit Nasseinheit – sind unabdingbar.
- Patientinnen und Patienten, die aufgrund einer Suchterkrankung (§ 64 StGB) in einer forensischen Klinik aufgenommen werden, sollen von Patientinnen und Patienten, mit einer psychischen Erkrankung (§ 63 StGB) getrennt untergebracht und behandelt werden.
- Langzeitstationen dürfen kein Ort für das Wegsperren angeblich austherapierter oder therapieverweigernder PatientInnen ohne Entlassperspektive und ohne therapeutisches Konzept sein, sondern müssen als Teil der medizinischen Behandlung gesehen werden mit der Möglichkeit der Rückkehr in therapeutische Settings. Der Erfolg einer Therapie ist auch mitbestimmt durch eine realistische Entlassperspektive. Ein gutes Nachsorgeangebot erlaubt eine schnellere Wiedereingliederung der PatientInnen, die heute mit unnötig langen und überdies oft fachlich kontraproduktiven Verweildauern in der Forensik verbleiben müssen.
Regionale Versorgung
Die Dezentralisierung der Forensik muss trotz Kostendrucks fortgesetzt werden.
Überdimensionierte Großeinrichtungen in ländlichen Gebieten fördern nicht die wohnortnahe Wiedereingliederung der PatientInnen.
Grundsätzlich fordern wir:
- Eine Einrichtung sollte nicht mehr als 200 Plätze haben.
- Dies erfordert eine möglichst zügige Reduzierung der Plätze in überdimensionierten Einrichtungen.
- Weitere regionale Einrichtungen müssen geschaffen, die weitere Aufstockung von Plätzen in bestehenden Einrichtungen muss vermieden werden.
Solange die wohnortnahe Versorgung flächendeckend nicht möglich ist, müssen große Standorte im Sinne von Versorgungsverbünden in kleinere Einheiten untergliedert betrieben werden.
Hierbei müssen therapeutische Notwendigkeiten die Planungsgrundlage darstellen.
Neue Maßregelvollzugseinrichtungen mit einer regionalen Ausrichtung und überschaubarer Größenordnung, so wie sie noch unter Rot-Grün für sechs neue Standorte initiiert wurden, dürfen nicht aus Kostengründen nachträglich wieder mit zusätzlichen Plätzen aufgestockt werden.
Fachlich fundierte Finanzierung
Differenzierte Pflegesätze: Der Vergleich von Tagespflegesätzen, wie der Minister sie als Argumentation für seine Sparvorschläge vornimmt, ist ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Es müssten viele andere Faktoren in einen Vergleich einfließen, um wirklich aussagekräftig zu sein: Krankheitsbilder und Delikte, Verweildauern, Qualität der Betreuung, Rückfallquoten u.a..
Fallkosten sagen mehr aus als Tagespflegesätze. Als lohnend erscheint uns die Prüfung eines differenzierten Pflegesatzes je nach erforderlicher Behandlungsintensität.
Die Personalbemessung nach Ernst & Young soll eine der Grundlagen einer fachlich fundierten Finanzierung sein.
Differenzierung von Versorgungsstrukturen: Hierüber muss im Sinne der Kostendämpfung nachgedacht werden: Der Aufbau eines binnendifferenzierenden Systems alternativer Versorgungslösungen für bestimmte PatientInnengruppen erscheint sinnvoll, beispielsweise Heimangebote für Menschen mit niedrigem Sicherungsbedarf oder die Intensivierung der Versorgung bestimmter forensischer PatientInnengruppen in der (geschlossenen) Allgemeinpsychiatrie (etwa gut medikamentös eingestellte PsychotikerInnen).
Nachsorge: Gute Nachsorge kann nicht nur die Verweildauer der Patienten herabsetzen, sondern auch die Rückfallquoten weiter senken und die Schaffung immer weiterer forensischer Plätze vermeiden.
Ein tragfähiger, flächendeckender Verbund von Nachsorgeeinrichtungen ist auszubauen.
Die Kooperation und Verzahnung mit der Bewährungshilfe und komplementären Angeboten ist weiter zu optimieren.
Bestehende Wohnangebote für psychisch kranke oder suchtkranke Menschen sind konzeptionell so weiter zu entwickeln, dass mit eingestreuten Plätzen entlassenen oder langzeitbeurlaubten MaßregelvollzugspatientInnen eine erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglicht wird. Die Möglichkeit des Wohnens in der eigenen Wohnung ist frühzeitig mit einzubeziehen.
Eine von der Klinik unabhängige Beratung im Sinne des „Stützpunkt Nachsorge“ muss aufgebaut und finanziert werden.
Nur so kann eine zeitige erfolgreiche Entlassung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft gelingen.
Prävention: Ein kritischer Blick auf die Lebensläufe vieler forensischer PatientInnen zeigt, dass viele von ihnen vor einer Straftat bereits psychiatrisch behandelt worden waren. Es muss die Frage gestellt werden, ob durch eine intensivere, längere Behandlung jenseits des Kostendrucks eine forensische „Karriere“ hätte vermieden werden können. Prophylaxe für gefährdete Gruppen ist notwendig und muss besser werden.
Neue Anforderungen an die Forensik:
Folgende PatientInnengruppen haben bisher zu wenig Beachtung gefunden:
Intelligenzgeminderte: Intelligenzgeminderte forensische PatientInnen bedürfen eines besonderen Schutzes, um sie entsprechend ihrer Bedürfnisse zu betreuen und sie vor Missbrauch und Ausbeutung durch MitpatientInnen zu schützen. Für sie bieten sich Spezialeinrichtungen an, damit sie ausreichend Zeit, Raum und Schutz erfahren (Einrichtung in Planung in Münster).
Alte Menschen: Die langfristige Perspektive für alte forensische PatientInnen muss die Eingliederung in die Allgemeinversorgung sein, sobald von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht. Es ist sinnvoll, sie auf speziellen forensischen gerontopsychiatrischen Stationen auf den Wechsel vorzubereiten.
Menschen mit Migrationshintergrund: Hier müssen im Sinne einer Querschnittsaufgabe neue Konzepte erarbeitet werden, die die kulturellen und sprachlichen Besonderheiten der PatientInnen berücksichtigen. Muttersprachliche AnsprechpartnerInnen bei Therapie und Betreuung sind wichtig.
Jugendliche: Richterinnen und Richter verhängen Maßregeln gegen straffällige Jugendliche, die das strafmündige Alter von 14 Jahren erreicht haben. In Marsberg wird bereits eine entsprechende Einrichtung nur für Jugendliche vorgehalten. Es muss aber vermieden werden, dass spezialisierte Einrichtungen, erst recht nicht auf der grünen Wiese, geschaffen werden. Bei einer solchen Entwicklung steht zu befürchten, dass neue Angebote auch neue Bedarfe produzieren. Bei den Angeboten für Jugendliche muss beachtet werden:
* Jugendliche brauchen Schutz vor den erwachsenen PatientInnen und ihren Erfahrungen und dürfen nicht „eingestreut“ in Einrichtungen für Erwachsene betreut werden.
* Die Anbindung an eine Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie ist zwingend.
* Forensisches Know-How muss dort zur Verfügung stehen.
* Eine kombinierte Einrichtung, z.B. durch das Andocken einer forensischen Abteilung / Einrichtung an eine allgemeinpsychiatrische Kinder-/Jugendklinik mit den entsprechenden baulichen und fachlichen Konzeptionen könnte eine mögliche Lösung sein.
Frauen: Höchstens 5% der forensischen Plätze sind mit Frauen belegt. Sie sind zur Zeit in wenigen Einrichtungen zusammengefasst. Wir fordern, dass Frauen wählen können, ob sie in gemischtgeschlechtlichen oder reinen Frauenstationen untergebracht sein wollen. Insbesondere ist auch hier die Differenzierung in der Unterbringung und Behandlung von Patientinnen nach §§63/64 zu gewährleisten
Der LPR möge beschließen:
Wir fordern die Landesregierung auf, den Maßregelvollzug in NRW unter fachlich therapeutischen Gesichtspunkten im Sinne der genannten Kriterien weiter zu entwickeln.
Wir unterstützen die Landtagsfraktion sowie die Fraktionen von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN in den beiden Landschaftsversammlungen, sich weiterhin politisch für eine menschenwürdige und therapeutisch sinnvolle forensische Behandlung einzusetzen. Diese Politik ist in der Vergangenheit mit entsprechenden Anträgen und Anfragen im Plenum ebenso wie im Engagement in den Landschaftsverbänden bereits positiv angegangen worden und soll mit diesem Beschluss unterstützt und weiterentwickelt werden.
Antragsteller/innen:
Peter Saatkamp und die Fraktion Bündnis 90/GRÜNE im Landschaftsverband Westfalen-Lippe,
Corinna Beck und die Fraktion Bündnis 90/GRÜNE im Landschaftsverband Rheinland,
Barbara Steffens (MdL) und Harald Wölter (Bündnis 90/GRÜNE im Landtag)