Denkmalschutz und Denkmalpflege
2000-11-10 Die 12 Thesen von Antje Vollmer zum Thema Denkmalschutz und Denkmalpflege in Deutschland
An
Antje Vollmer, MdL
BAG Kultur
LAG Kultur NRW
Michael Vesper, Kulturminister NRW
Münster, 10.11.2000
Betr.: Denkmalschutz und Denkmalpflege
Hier: Die 12 Thesen von Antje Vollmer zum Thema Denkmalschutz und Denkmalpflege in Deutschland
Liebe Freundinnen und Freunde,
Die 12 Thesen von Antje Vollmer zum Thema Denkmalschutz und Denkmalpflege in Deutschland (basierend auf dem Gutachten „Kann die Denkmalpflege entstaatlicht werden?“ von Dieter Hoffmann-Axthelm, März 2000 im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN) haben im Sommer d.J. großes publizistisches Aufsehen erregt und Wellen geschlagen insbesondere bis in die Kreise der mit Denkmalschutzfragen befaßten Fachleute. Als politisch (mit-)verantwortliche Kraft für Fragen des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege in Nordrhein-Westfalen ist die Fraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Landschaftsverband Westfalen-Lippe der Auffassung, daß die Thesen von Antje Vollmer nicht unwidersprochen bleiben dürfen, weil diese Thesen
* einen fragwürdigen Denkmalschutzbegriff entwickeln, der sich zu stark an rein ästhetischen Kriterien orientiert,
* mit dem Vorwurf des bloßen „Sammelns von typischen Baudenkmälern bestimmter Zeitepochen“ die wissenschaftlich-fachliche Qualität des Denkmalschutzes diskreditieren,
* einer Reduktion auf wirtschaftliche und Nutzungsaspekte von Denkmälern und ihrer Unterschutzstellung Vorschub leisten,
* einen unzulässigen Widerspruch konstruieren zwischen dem Verfahren zur Unterschutzstellung von Denkmälern und dem Bemühen, diese dann vor dem Verfall zu schützen und einer Nutzung zuzuführen,
* mit der Verwendung von Begriffen wie „Dogmatismus“ und „Willkür von Denkmalschützern“ weit verbreitete Denkmuster und (Vor-) Urteile aufgreifen und damit zementieren und letztlich
* in der (Fach-) Öffentlichkeit den Eindruck einer neuen grünen Definition des Denkmalschutzbegriffes erzeugt haben, obwohl sie weitgehend ohne eine breite innerparteiliche Beteiligung und Debatte der mit diesen Fragen befaßten Fachpolitiker/innen zustande gekommen sind.
Zum Denkmalschutzbegriff:
Nach der Definition des Nordrhein-Westfälischen Denkmalschutzgesetzes sind Denkmäler „Sachen, Mehrheiten von Sachen und Teile von Sachen, an deren Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht“ (§ 2 Abs. 1 Satz 1 DSchG NRW). Ein öffentliches Interesse besteht laut Gesetz, wenn die Sachen bedeutend für die Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse sind und für die Erhaltung und Nutzung künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche oder städtebauliche Gründe vorliegen:
* Künstlerische Gründe liegen vor, wenn ein Bauwerk im Vergleich zu anderen Bauten der gleichen Stilepoche gestalterische Qualitäten aufgrund nicht alltäglicher menschlicher Schöpferkraft aufweist.
* Die Wissenschaft ist darauf angewiesen, ihre Informationen nicht nur aus schriftlichen Unterlagen vergangener Zeiten zu beziehen. Sie muß sich vielmehr direkt ein Bild über Gegenstände und Verfahren vergangener Zeiten machen können. Deshalb besteht im Zweifel auch meist ein wissenschaftliches Interesse an der Erhaltung der originalen Substanz eines Denkmals.
* Volkskundliche Gründe für die Erhaltung sind gegeben, wenn die Gegenstände typisch für den Ort und die Zeit sind, in der sie gebraucht oder hergestellt wurden.
* Städtebauliche Gründe für die Erhaltung und Nutzung eines Gebäudes sind dann anzunehmen, wenn bei einer Veränderung oder der Beseitigung eines Objektes die städtebauliche Struktur so zerstört würde, daß ihr geschichtlicher Ursprung nicht mehr erkennbar wäre.
[Ausführungen unter Verwendung des Berichtes „Denkmalschutz und Denkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 1980 – 1990, hrsg. vom Miniszerium für Stadtentwicklung und Verkehr des Landes NRW, Düsseldorf 1991]
Zur Reduktion des Denkmalschutzbegriffes:
Denkmalschutz und Denkmalpflege darf sich nicht auf die Erhaltung einzelner herausragender, künstlerisch und ästhetisch überzeugender Bauten oder Gegenstände beschränken. Die Dokumentation und der Erhalt von Zeugnissen früherer Bau- und Siedlungsepochen darf weder dort aufhören, wo gewohnte ästhetische Merkmale nicht erfüllt werden, noch darf sie durch einseitige wirtschaftliche oder Nutzungsinteressen beschränkt werden.
Würde der Denkmalbegriff so eingeschränkt, daß er nur Objekte von nationaler oder internationaler Bedeutung erfaßt, so hätte die Denkmalschutzgesetzgebung ihr Ziel verfehlt. Die herausragenden Zeugen der Bau- und Kulturgeschichte sind im allgemeinen Bewußtsein fest verankert. Sie wären wohl auch ohne gesetzlichen Schutz nicht gefährdet.
Den Schutz des Gesetzes benötigen gerade die vielen „kleinen“ Denkmäler, die in ihrer Summe die geschichtliche Entwicklung ablesbar machen. Die Denkmaleigenschaft liegt auch dann vor, wenn ein Gebäude lediglich von orts- oder ortsteilprägender Bedeutung ist. Und auch die Tatsache, daß gleichartige Bauten beispielsweise in größerer Anzahl vorhanden sind, nimmt ihnen nicht ihre Bedeutung im örtlichen Zusammenhang. Fehlt ihnen zusätzlich noch eine allgemein empfundene ästhetische Ausstrahlungskraft, so laufen sie nicht selten Gefahr, durch Unachtsamkeit zerstört oder wirtschaftlichen Interessen geopfert zu werden. Dies gilt für die bekannten Plattenbauten in Berlin ebenso wie beispielsweise für den ehemaligen Bundestags-Kiosk in Bonn.
Denkmäler werden als unentbehrliche Grundlagen für die verschiedensten Disziplinen der Wissenschaft und als Markierungs- und Orientierungspunkte für die Entwicklung unserer Städte und Gemeinden im Interesse historischer Kontinuität verstanden. Der historische Bezug soll nicht einseitig konservieren, sondern die Zukunft gestaltend beeinflussen, indem das Denkmal als Fixpunkt der gemeindlichen Entwicklungsplanung erkannt wird.
Zu einzelnen Aussagen in den Thesen von Antje Vollmer:
These V
Obwohl also die Anforderungen an die Denkmalschutzaufgaben in den neuen Ländern erheblich gewachsen sind, sind die ausgewiesenen Gelder für das Denkmalschutzprogramm auf Bundes- wie Landesebene ständig gesunken. Geringeren öffentlichen Mitteln und fehlenden privaten Ressourcen stehen also erheblich gewachsene Aufgaben entgegen. Das zwingt zu neuer Standortbestimmung.
Anmerkung: Diese Schlußfolgerung ist einseitig, die Frage müßte lauten: wie sind zusätzliche Mittel für den Denkmalschutz zu mobilisieren? Ein sehr gutes Beispiel ist die IBA-Emscherpark im Ruhrgebiet, die erhebliche Mittel zur Erhaltung von Industriedenkmälern freigesetzt hat und die neue Nutzung von ehemaligen Industrieflächen und Gebäuden im Bewußtsein der Kommunalpolitik und der Bevölkerung im Ruhrgebiet verankert hat.
These VI
Gleichzeitig ist seit 1989 eine erhebliche quantitative Ausweitung der Unter-Schutz-Stellung feststellbar. Unter Denkmalschutz gestellt wurden in großem Umfang Industriedenkmäler (z. B. Oberschöneweide, Elektrizitätswerk Vockerode) charakteristische Baudenkmäler der NS-Zeit (z. B. Prora auf Rügen, Peenemünde) oder Plattenbauten (z. B. Unter den Linden). Dabei weitet sich unter der Hand der Denkmalschutzbegriff aus und verändert sich inhaltlich. Zu dem Aspekt des Schutzes traditioneller Kulturgüter tritt der Aspekt des Sammelns von typischen Baudenkmälern bestimmter Zeitepochen. Gelegentlich wird Denkmalschutz so auch zu einem Moment der notwendigen historischen Erinnerungskultur, also zu einer Aufgabe von politisch-pädagogischem Charakter.
Anmerkung: Dieses Verständnis von Denkmalschutz und Denkmalpflege gefährdet beispielsweise die für Nordrhein-Westfalen wichtige Rolle der Industriedenkmäler, von denen aus dem Bereich Westfalen-Lippe exemplarisch genannt seien: die Henrichshütte Hattingen, das Schiffshebewerk Henrichenburg, die Jahrhunderthalle in Bochum oder der Nordsternpark in Gelsenkirchen. Die beiden ersten Beispiele sind Teil des Westfälischen Industriemuseums beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe; alle genannten Bespiele sind Teil der „Route der Industriekultur“ des KVR. Wir wenden uns gegen eine Reduzierung des Denkmalschutzes auf den historischen Kunstwert eines Bauwerkes und gegen die damit verbundene Diffamierung der Moderne. Stattdessen wollen wir auch „gesellschaftliche Erinnerungs- und Bedeutungsträger der unterschiedlichen Epochen vor Zerstörung bewahren“ [Zitat von wem??]. Die Industriedenkmäler dokumentieren in besonderer Weise die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Menschen in ihrer jeweiligen Zeit und ihrem jeweiligen Umfeld. Ihr Verschwinden würde unwiederbringlich das praktisch erlebbar gemachte Verständnis nachfolgender Generationen für soziale und technische Geschichte unseres Landes zerstören.
These IX
Spätestens jetzt ist deswegen eine umfassende, offene und tabufreie Debatte darüber notwendig, wie der Denkmalschutz der Gegenwart und Zukunft aussehen soll, auf welche Denkmäler er sich beziehen soll und worin er sich notwendigerweise begrenzen muss. Kriterium für einen erfolgreichen Denkmalschutz ist nicht, wie viel unter Schutz gestellt wird, sondern wie viel wirklich erhalten, vor dem Verfall geschützt und einer neuen Nutzung zugeführt wird. Weniger kann dabei mehr sein.
Anmerkung: Wir sind gegen die Einschränkung des Denkmalschutzes auf allseits geschätzte „schöne“ Denkmäler, auf Gebäude in öffentlichem Besitz und Bauten aus der Zeit vor Beginn der Industrialisierung vor 1840. Staatlicher und kommunaler Denkmalschutz sollte sich nicht zurückziehen in der vagen Hoffnung, damit einem dezentralen, von bürgerschaftlichem Engagement getragenen Denkmalschutz Raum zu geben. Die Konsequenz aus privatem Versagen wäre der unwiederbringliche Verlust weiterer Denkmäler in Deutschland.
These X
Vor allem aber muss es auch eine neue Dialogkultur zwischen den Denkmalschützern und den Bürgern geben. So gut die Zusammenarbeit in der Vergangenheit war, wenn es um den gemeinsamen Kampf gegen Investoren oder Übergriffe durch die Politik auf manche zu schützenden Denkmäler ging, so verbesserungsbedürftig war gelegentlich der Dialog zwischen Denkmalschützern und einzelnen Bürgern, die ein Denkmal besitzen. Nicht jeder Protest von einzelnen Bürgern gegen die Willkür von Denkmalschützern entsprang nur reinem Unverstand. Hier ist auch eine größere Bereitschaft der Denkmalschützer notwendig, über ihre Kriterien und „Denkschulen“ Auskunft zu geben und sich für andere Nutzungsanpassungen und auch die begrenzten finanziellen Möglichkeiten von Bürgern kompromissbereit zu zeigen. Nur bei verbesserter Dialogbereitschaft wird der unbestreitbare rechtliche Einspruch gegen Eingriffe in die Bausubstanz eines Denkmals in der Sache dauerhaft Erfolg haben.
Anmerkung: Die Dialogkultur zu verbessern, ist eine richtige Forderung, die auch wir unterstützen. Sie darf aber nicht unterschwellig intendieren, privaten (oder auch öffentlichen) Investitionsentscheidungen oder Nutzungsvorstellungen Vorrang zu geben vor den fachlichen Bewertungen der unabhängigen Denkmalpflegeämter. Was geleistet werden könnte, wäre ein stärkeres Bemühen der handelnden Denkmalpfleger/innen um die Vermittlung von Geschichte und Bedeutung des jeweiligen Denkmals und damit um die Notwendigkeit seiner Erhaltung und Pflege.
Denkmalschutz bedeutet stets auch einen Eingriff in die freie Verfügbarkeit des Eigentums, der in jedem Fall legitimiert werden muß. Das Unterschutzstellungsverfahren bietet die Gewähr dafür, daß juristisch überprüfbar abgewogen wird und der/die Denkmaleigentümer/in die Kriterien der Denkmalwürdigkeit nachvollziehen kann. Diesen Prozeß auf die Basis von Freiwilligkeit zu stellen, hieße eine Vielzahl von Denkmälern der Zerstörung preiszugeben.
Wir würden uns freuen, wenn unsere Stellungnahme zu den 12 Thesen von Antje Vollmer als Beitrag für eine weitergehende fruchtbare Diskussion zur Zukunft von Denkmalschutz und Denkmalpflege verstanden werden. In diesem Sinne bitten wir um Rückmeldungen zu unserer Positionsbestimmung.
Mit grünen Grüßen
gez. Siggi Schönfeld, Monika Steinheuser
(Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN im LWL) Wolfgang Pieper
(Fraktionsgeschäftsführer)
– Anlage –
Zur Zuständigkeit der Landschaftsverbände im Rahmen des Denkmalschutzgesetzes in Nordrhein-Westfalen:
Mit der Einbeziehung der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe in die Aufgabenverteilung nach dem Denkmalschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen wollte der Gesetzgeber sicherstellen, daß der vor allem bei den Denkmalpflegeämtern der Landschaftsverbände vorhandene Sachverstand den Denkmalbehörden dauerhaft zur Verfügung steht. Deren fachliche Aufgaben nicht hoheitlicher Art umfassen:
* die fachliche Beratung und Erstattung von Gutachten in allen Angelegenheiten des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege,
* die wissenschaftliche Untersuchung und Erforschung der Denkmäler sowie deren Veröffentlichung,
* die fachliche Überwachung der Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und exemplarische Restaurierungen,
* die wissenschaftliche Ausgrabung, Bergung und Restaurierung von Bodendenkmälern
* sowie die Wahrnehmung der Interessen der Denkmalpflege als Träger des öffentlichen Belangs „Denkmalschutz und Denkmalpflege“ bei allen Planungen und Maßnahmen der Gemeinden und anderer öffentlicher Stellen.
Den Gemeinden als Unteren Denkmalbehörden in NRW stellen die Denkmalpflegeämter ihr Fachwissen zur Verfügung, indem sie diese beraten und ihnen Gutachten in allen Angelegenheiten des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege erstellen (§ 22 Abs. 3 Nr. 1 DSchG NRW). Dabei sind die Denkmalpflegeämter an fachliche Weisungen nicht gebunden (§ 22 Abs. 4 DSchG NRW); diese fachliche Unabhängigkeit und Selbständigkeit stellt eine einmalige Situation in der Denkmalschutzgesetzgebung dar. Sie gibt den Denkmalpflegeämtern eine umfassende, von staatlichen Weisungen freie Anwaltsposition für das Denkmal.