Rede LWL-Haushaltes 2006
09. Mär. 2006
Rede zur Verabschiedung des LWL-Haushaltes 2006
Heinz Entfellner – Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN im LWL
Rede zur Verabschiedung des LWL-Haushaltes 2006
in der Landschaftsversammlung am 09.03.2006
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, Herr Landesdirektor, meine Damen und Herren,
Der Kämmerer hat den Haushalt 2006 bei der Einbringung bildhaft als „auf Kante genäht“ bezeichnet. Umso erstaunlicher war es zu erleben, mit welcher Leichtigkeit die nachträglich aus dem GFG resultierenden Mindereinnahmen von 34 Mio. € in Höhe von 31,5 Mio € in den Verwaltungshaushalt eingearbeitet werden konnten.
War die Kante etwa ein Luftpolster? Oder handelt es sich dabei um eine stille weitere Standardreduzierung? Werden vielleicht bestimmte Aufgaben nicht mehr oder nicht mehr im bisherigen Umfang wahrgenommen? Alles Fragen, die dringend einer Beantwortung bedürfen, bevor man diesem Haushalt wissentlich und willentlich zustimmen kann.
Wir haben diese Fragen in den Fachausschüssen gestellt – die Verwaltung hat sie uns allesamt nicht beantwortet, weil Sie, meine Damen und Herren, mit ihrer Mehrheit die Ampel dafür auf „Rot“ gestellt haben.
Wussten Sie denn die Antworten und haben sie für sich behalten nach dem Motto: „Wissen ist Macht, und wenn die anderen es nicht wissen, macht es nichts“?
Oder wussten Sie etwa die Antworten auch nicht? Dann stellt sich mir allerdings die Frage, auf welcher Grundlage Sie gleich dem Haushaltsentwurf zustimmen werden!! (Ihren eben gemachten Äußerungen konnte ich es jedenfalls nicht entnehmen. Messen Sie denn Transparenz im Handeln und Entscheiden keine allzu große Bedeutung bei, wollen Sie denn gar nicht wissen, wie die Verwaltung unter der enormen fiskalischen Belastung die Aufgaben des Verbandes „zum Wohle der Menschen in Westfalen-Lippe“ zu stemmen versucht?
Seit Jahren erklärt der Kämmerer den personellen Ausnahmezustand (er nennt das immer das Ende der Fahnenstange) und in diesem Jahr wird das fortgesetzt bzw. verstärkt, was schon im Vorbericht des vergangenen Haushalts beschrieben wurde: Aufgaben können nicht mehr adäquat erledigt werden. Was heißt das denn konkret?
Der Stellenplan wird erst gar nicht mehr beraten – warum auch, wenn das Budget diesem bei Weitem nicht mehr entspricht (siehe Haushaltsbegleitbeschluss) und eine Vielzahl an Stellen gar nicht besetzt wird.
Frauenförderkriterien werden außer Kraft gesetzt: wegen Elternzeit unbesetzte Stellen bleiben vakant, die entstandene Mehrarbeit wird auf die verbleibenden MitarbeiterInnen verteilt oder Arbeiten nicht mehr erledigt, und unsere Anträge, dieses frauen- und familienfeindliche Instrument der Personalpolitik zu überprüfen bzw. zurückzuholen wird ohne Erhebung der realen Gegebenheiten unter den Tisch gekehrt und von allen übrigen Fraktionen abgelehnt.
(Meine Damen und Herren aus der CDU-Fraktion, hören Sie doch einfach mal Frau von der Leyen zu, wenn sie über familienfreundliche Politik spricht.)
Die VolontärInnen-Stellen wurden in den Vorjahren so drastisch gekürzt, dass es den Museen an den Nerv ging. Da Sie unsere Argumente zur Aufstockung dieser Stellen nicht von der Hand weisen konnten, haben Sie sich zu dem Beschluss durchgerungen, den Museen freizustellen, im Bedarfsfall für notwendige Volontärstellen Sachmittel einzusetzen. Doch das hat einen entscheidenden Haken: die bereits sehr knapp bemessenen Sachmittel für Personal einzusetzen bedeutet, dass wichtige Ressourcen zur Umsetzung der musealen Konzepte fehlen. Den Teufel mit Beelzebub auszutreiben versuchen, macht aber bekanntlich wenig Sinn.
Sie hangeln sich von Jahr zu Jahr durch den Personalhaushalt, beschließen reduzierte Budgets, und wenn es darum geht, für die Folgen Ihrer Beschlüsse die Verantwortung zu übernehmen, schließen Sie Augen und Ohren und lassen dabei außer acht, dass es bei der Debatte um die Verwaltungsstrukturreform und die Stellung der Landschaftsverbände auch darauf ankommen wird, dass diese bei ihrer Aufgabenerfüllung gute Noten erhalten.
Trotz der angespannten Finanzsituation des Landschaftsverbandes ist in den letzten Tagen und Wochen – mit unseren Stimmen – ein Projekt beschlossen worden, das der zuständige Dezernent in unserer Fraktion als „Kulturwunder für die Region“ bezeichnete. Im Kloster Dahlheim wird in die Zukunft investiert – auch wenn die privaten Zustiftungen noch zu wünschen übrig lassen.
Durch die Debatte im Januar haben wir noch einmal Druck auf den Kessel gegeben. Der Kreis Paderborn hat in Folge einen Beschluss gefasst, der das Stiftungsmodell grundsätzlich ermöglicht und die finanziellen Lasten gleichmäßig verteilt.
Wir tragen das Projekt Kloster Dahlheim weiter aus Überzeugung mit, auch wenn gerade meine Fraktion sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hat.
Was wir bei der Diskussion und Entscheidungsfindung in Sachen Kloster Dahlheim sinnvoll und fruchtbar fanden – nämlich lebhafte und ausführliche Debatten und die Sorgfalt der Entscheidungsfindung – vermissen wir bislang an anderer Stelle.
Seit ca. 3 Jahren befasst sich der LWL mit Fragen der Umstrukturierung von Wohnhilfen für Menschen mit Behinderungen – ambulant vor stationär ist nun die Devise.
Diese Forderung haben wir Grünen übrigens bereits vor Jahren gestellt und wurden hier in diesem Haus als realitätsfern belächelt. Damals wie heute ist für uns der Gesichtspunkt der Finanzen nicht im Vordergrund, sondern die Frage der Lebensqualität, Selbstbestimmung und Wahlfreiheit der Betroffenen. Obwohl wir auch immer darauf hingewiesen haben, dass der Landschaftsverband damit hätte Geld sparen können.
Wir hoffen, dass der frisch gewählte Landesdirektor, der hier an dieser Stelle vor einem Jahr vollmundig verkündete, die Menschen mit Behinderungen hätten im LWL einen Anwalt ihrer Interessen, einen solchen Umstrukturierungsprozess mit ähnlichem Weitblick angeht wie eben das Projekt Klostermuseum Dahlheim.
Wir hätten uns hier schon früher Debatten und Diskussionen im politischen Raum, mit Abwägungen verschiedener Möglichkeiten, mit Herzblut und Engagement gewünscht.
Das große Projekt „Ambulant vor Stationär“ wird bisher von Ihnen allen, meine Damen und Herren, als laufendes Geschäft der Verwaltung betrachtet. Ihr politisches Interesse hält sich offensichtlich sehr in Grenzen.
Wenn ein Unternehmen eine neue Produktlinie aufbaut, dann ist es üblich und sinnvoll, Ressourcen in diesen Bereich zu stecken in Form von Geld und von Arbeitskraft. Und dies ganz besonders dann, wenn das Produkt bereits nach wenigen Jahren auf dem Markt funktionieren soll – wie eben beim Aufbau des ambulant Betreuten Wohnens.
Falls dieses Unternehmen auch noch Umstrukturierungsprozesse plant und anfasst, die auf Dauer die Kosten deutlich senken sollen, dann ist es undenkbar, dass man das so nebenbei bewerkstelligt. Auch hier würden Ressourcen aktiviert, die den Prozess vorbereiten und begleiten.
Einem solchen unternehmerischen Prozess vergleichbar haben wir eine neue Produktlinie und einen Umstrukturierungsprozess vor der Brust. Lange gewachsene Strukturen – aufgebaut durch die Wohlfahrtsverbände – sollen nun umgekrempelt werden, neue müssen aufgebaut werden.
Unsere Fraktion hat diesen Prozess begleitet und ist dabei auf verschiedene Problembereiche aufmerksam geworden, die uns zweifeln lassen, ob die Verwaltung eine Umsteuerung sinnig und nachvollziehbar – und vor allem mit dem nötigen Weitblick vorantreibt.
Nun liegt uns seit ca. 4 Monaten der Zwischenbericht der Universität Siegen „Selbständiges Wohnen behinderter Menschen“ vor, der ein sehr detailliertes Licht auf die Umsetzung des Umstrukturierungsprozesses wirft und unsere Zweifel noch bestärkt hat.
Unsere Bedenken haben wir in eine Reihe von Fragen gekleidet – nur einige davon möchte ich hier nennen: Der gesamte Fragenkatalog liegt Ihnen inzwischen schriftlich vor.
1. Erst ca. 3 Jahren nach Beginn des Prozesses werden ernsthaft Projekte begonnen, Hilfebedarfe bei Menschen zu überprüfen, die bereits in stationären Einrichtungen leben, und die Träger dabei zu unterstützen, für diese Menschen ambulant betreutes Wohnen möglich zu machen. Warum beginnt dieser Prozess erst jetzt?
2. Die Hilfen für Betreutes Wohnen werden nach Fachleistungsstunden vergütet, die mit den Wohlfahrtsverbänden ausgehandelt wurden. Dabei stellt sich die Frage, ob das starre Verhältnis von unmittelbaren Betreuungsleistungen und sonstigen Leistungen mit dem Ansatz einer individuellen Hilfeplanung vereinbar ist.
3. Das Gelingen des betreuten Wohnens hängt entscheidend davon ab, wie mit den Planungsverantwortlichen in den Gebietskörperschaften und den Akteuren vor Ort zusammen gearbeitet wird. Sowohl unsere Gespräche als auch die Studie der Universität Siegen zeigen, dass es um die Qualifikation der Hilfeplanerinnen und deren Kenntnissen über regionale Strukturen nur mäßig bestellt ist. Wir fragen Sie deshalb: Warum wurde in diesen wesentlichen Bereich nicht mehr kompetentes Personal eingebunden bzw. neu eingestellt?
4. Eine dauerhafte Sicherung des ambulant Betreuten Wohnens hängt wesentlich davon ab, wie die komplementären Strukturen vor Ort ausgebaut sind, welche parallelen Hilfeangebote über das Wohnen hinaus bestehen z. B. in Form von Tagesstrukturen. Wir fragen sie, die politisch Verantwortlichen und die Verwaltung: Wie stellen Sie dieses Strukturen sicher?
Ende dieses Jahres ist bereits die Hälfte der Zeit verstrichen, die uns der Gesetzgeber für die Umstrukturierungen zugebilligt hat. Es wird deshalb höchste Zeit, den Prozess qualifiziert in Gang zu setzen.
Und das vor allem auch vor dem Hintergrund, dass am Ende dieser Phase eine deutliche Kostendämpfung der kommunalen Familie erreicht werden soll – zumindest aber keine zusätzliche Belastung trotz steigender Anzahl der Betroffenen. Bis 2010 müssen die Landschaftsverbände beweisen, dass sie eine Umwälzung der Strukturen bewerkstelligen können, die sowohl fachlichen als auch fiskalischen Gesichtspunkten genügt.
Nur wenn wir heute ausreichende Ressourcen in den Aufbau ambulanter Strukturen stecken, haben wir morgen eine Chance den Kostenanstieg zumindest abzubremsen. Dieser Herausforderung haben Sie sich bis heute nicht gestellt. Der Haushalt spiegelt dies zumindest nicht wider.
Auch wenn wir den unveränderten Hebesatz zur Landschaftsumlage im Interesse der Kommunen für richtig halten, findet der Haushalt deshalb unsere Zustimmung nicht.